Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
umfassend, vergleichbar und klar genug, denn die Kommission plant, »parallel dazu produkt- und sektorspezifische Regeln für die Bewertung von Umweltauswirkungen« bei der Herstellung jener Produkte zu schaffen, die Sie vertrauensvoll eingekauft haben. Das heißt: Wenn Sie einen Laib Brot, eine Packung Windeln oder eine Tüte Gummibärchen in ihren Einkaufskorb legen, können Sie sich, parallel dazu, darüber informieren, welche Auswirkung die Herstellung und Vermarktung dieser Produkte auf die Umwelt hatte. Natürlich werden Sie sich als bewusster Konsument für die Produkte entscheiden, bei deren Herstellung und Vermarktung die Umwelt am wenigsten belastet wurde, wobei es für die Umwelt am besten wäre, wenn Sie nichts kaufen und gar nichts verbrauchen würden. Optimal wäre es, wenn Sie das Atmen einstellen würden, denn das dabei abgegebene Kohlendioxyd belastet die Umwelt am meisten. Aber lassen Sie sich damit noch etwas Zeit. Die »produkt- und sektorspezifischen Regeln für die Bewertung von Umweltauswirkungen« werden frühestens in drei Jahren vorliegen, was natürlich die Frage provoziert, wie sehr die Umwelt durch die Aktivitäten der Kommissionsmitarbeiter belastet wird, die von einem Konferenzort zum anderen fahren müssen, um »produkt- und sektorspezifische Regeln für die Bewertung von Umweltauswirkungen« zu erarbeiten. Sogar dann, wenn sie nur per E-Mail oder Skype miteinander verkehrten, würden sie ebenfalls einen gewaltigen CO 2 -Fußabdruck hinterlassen.
Dieses im Sinn atmen Sie einmal tief durch und klicken dann auf den Link »Von A bis Z« in der Kopfleiste. Und schon sind Sie mittendrin – in allem, womit die EU zu tun hat. Jetzt spielen Sie einfach mal den Fuchs im Hühnerstall und suchen sich etwas aus.
Fangen Sie gleich mit dem ersten Stichwort an: »Abfall«. Da erfahren Sie, wie viel Abfall jährlich in der EU anfällt, es sind drei Milliarden Tonnen oder sechs Tonnen pro Kopf, wobei mein Anteil etwa doppelt so hoch sein dürfte. Sie erfahren alles über »waste prevention« und »waste recycling«, also wie man die Abfallmenge reduzieren und das, was am Ende übrig bleibt, wiederverwenden kann. Das sind keine Informationen, die ich zum Glücklichsein brauche, aber es ist kein imaginiertes Problem. Nachdem ich einmal einen Müllarbeiter-Streik in Tel Aviv und einmal einen in Neapel erlebt habe, weiß ich, dass dies der wichtigste aller Berufe ist. Man kann ohne Zeitungen und ohne Fernsehen leben, ohne Klimaanlage und ohne Aufzug, aber nicht mit Müllbergen vor der Haustür.
Nun scrollen wir weiter, überspringen das Comenius-, das Daphne- und das Erasmus-Programm, klicken »Erdbeobachtung« an und lernen hier, dass man dies nur aus großer Höhe tun kann, zum Beispiel mit Hilfe von Satelliten, die maßgeblich dazu beigetragen haben, unser Bild von der Erde zu prägen. So etwas hatte ich schon vermutet.
Wir haben nicht viel Zeit, wir müssen uns noch vor dem Einkaufen mit den »Leitlinien für die Etikettierung« vertraut machen, also geht es flott weiter. Next Stop: Musik. »Musik ist ein ständiger Begleiter des Lebens der Europäer: Sie ist ein elementarer Bestandteil ihres Kulturerbes und ihrer Kulturen.« Deswegen hat der Rat bereits 1997 »die kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Musik in Erinnerung gerufen und die Kommission aufgefordert, das musikalische Schaffen und die Verbreitung von Musikwerken sowie die Qualifikation und die Mobilität der Fachkräfte zu fördern«.
Etwas Ähnliches gilt auch für den Tanz, der die »soziale Integration« befördert. Deswegen finanziert der Europäische Sozialfonds »im Rahmen seiner Aktivitäten zur Integration Jugendlicher und Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt« auch die Ausbildung zum Tänzer. Ich werde demnächst beim zuständigen Kommissar nachfragen, ob es dafür eine Alters- oder Gewichtsgrenze gibt.
Sie werden Mühe haben, etwas zu finden, das die EU -Kommission nicht finanziert oder fördert. Wenn Sie zum Beispiel das nächste Mal nach Bergisch Gladbach bei Köln kommen, werden sie gleich neben dem Ortsschild neun Tafeln sehen, auf denen die »Partnerstädte« angezeigt werden: Bourgoin-Jallieu und Joinville-le-Pont in Frankreich, Luton und Runnymede in England, Velsen in Holland, Marijampol ė in Litauen, Limassol auf Zypern, Pszczyna in Polen und Bait Dschala in den palästinensischen Autonomiegebieten. Jedes Mal, wenn ich an solchen Tafeln vorbeifahre, sei es in Lüneburg, Oldenburg oder Coburg,
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