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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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frage ich mich: Was soll das? Was ist der Sinn solcher Städtepartnerschaften? Ganz einfach. Sie werden von der EU gefördert. Denn: »Städtepartnerschaften bilden ein einzigartiges und dichtes Netz und spielen daher eine ganz bestimmte Rolle im Hinblick auf die Herausforderungen im modernen Europa … Außerdem fördern Städtepartnerschaften den Austausch von Erfahrungen zu vielfältigen Themen von gemeinsamem Interesse und sensibilisieren die Bürger/innen dadurch für die Vorteile einer konkreten Lösungsfindung auf europäischer Ebene. Darüber hinaus bieten Städtepartnerschaften einzigartige Möglichkeiten dafür, etwas über den Alltag der Bürger/innen in anderen europäischen Ländern zu lernen, mit diesen zu sprechen und dadurch häufig auch Freunde zu finden. Dank der Kombination dieser Elemente verfügen Städtepartnerschaften über ein beachtliches Potenzial für die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses zwischen Bürger/innen, die Förderung der Identifikation mit der Europäischen Union und nicht zuletzt die Entwicklung einer europäischen Identität.« So ist es auf der Website der »Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur« ( EACEA ) zu lesen, die »zuständig für die Verwaltung bestimmter Teile der EU -Programme in den Bereichen Bildung, Kultur und audiovisuelle Medien« ist und »unter der Aufsicht« von »drei Generaldirektoren der Europäischen Kommission« steht.
    Der Weg von Bergisch Gladbach nach Europa führt über Velsen in Holland und Pszczyna in Polen. Dafür stellt die EU zwischen 10000 und 150000 Euro pro Städtepartnerschaft zur Verfügung. Und dadurch entsteht in der Tat ein »dichtes Netz« von Städtepartnerschaften. Bourgoin-Jallieu ist unter anderem mit Dunstable in England, Rehau in Deutschland und Wujiang in China verbandelt; Luton mit Spandau und Wolfsburg; Marijampole mit Viborg in Dänemark und Kokkola in Finnland; Limassol mit Niederkassel im Rhein-Sieg-Kreis und Alexandria in Ägypten; Pszczyna mit Kastela in Kroatien und Klein Rönnau bei Segeberg. Diese Gemeinden wiederum unterhalten Städtepartnerschaften mit anderen Gemeinden, die ihrerseits … Und irgendwo in diesem Netzwerk sitzt die Spinne: eine Agentur, die Städtepartnerschaften und Städtefreundschaften vermittelt, auch dies gewiss gefördert von der EU , um die »Identifikation mit der Europäischen Union und die Entwicklung einer europäischen Identität« voranzutreiben. Ein großes Wort für ein Programm, das ein paar Bürgermeistern und Stadträten die Gelegenheit verschafft, einmal im Jahr eine neue Biersorte in einer anderen Stadt zu probieren.
    Dieser ganze Zirkus muss verwaltet werden. Es müssen Richtlinien für die Vergabe der Prämien bei Abschluss der Städtepartnerschaften erarbeitet werden. Die eingereichten Anträge müssen geprüft werden. Dann muss das Geld angewiesen werden. Und schließlich muss die Abrechnung überprüft werden. Musste die Delegation aus Bergisch Gladbach erster Klasse nach Pszczyna reisen, wäre die zweite Klasse nicht gut genug gewesen? Und was ist mit der Abrechnung aus der »Villa Paradise«, war es ein dienstlicher Anlass oder eine private Orgie?
    Aber das sind alles kleinkarierte Überlegungen, ebenso wie die Idee, mit dem Geld handwerkliche Ausbildungsstätten für spanische Jugendliche oder menschenwürdige Lebensverhältnisse für rumänische Roma zu finanzieren, angesichts der Tatsache, um was es wirklich geht: »Die Identifikation mit der Europäischen Union und die Entwicklung einer europäischen Identität.«Wobei offensichtlich die Identifikation mit der Europäischen Union der erste Schritt zur Entwicklung einer europäischen Identität ist. Oder auch der letzte. Wer sich mit der Europäischen Union identifiziert, der hat bereits eine europäische Identität entwickelt. An dieser Stelle nachzufragen, worin sich diese europäische Identität artikuliert, wäre so respektlos, als würde man mitten im Weihnachtsgottesdienst wissen wollen, ob Maria wirklich Jungfrau war, als sie Jesus zur Welt brachte.
    Am 22. Februar 2013 hielt Bundesspräsident Gauck im Schloss Bellevue eine »Rede zu Perspektiven der europäischen Idee«; er sprach von einem weit verbreiteten Unbehagen, einem Unmut an Europa, »den man nicht ignorieren darf«, vom »Verdruss über die so genannten Brüsseler Technokraten und ihre Regelungswut«, er äußerte Verständnis für »die Klage über mangelnde Transparenz der Entscheidungen, das Misstrauen gegenüber einem

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