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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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inzwischen, wie schon erwähnt, fast 50000 Beamte, von denen jeder zweite für die Kommission arbeitet. Nach Berechnungen der »Welt am Sonntag« bezogen im Jahre 2012 genau 4365 Beamte ein Einkommen, das höher war als das der deutschen Kanzlerin – dank großzügiger Grundgehälter, einer milden Besteuerung und steuerfreier Zulagen. »Der Beamtendienst der EU ist der bestbezahlte in Europa«, erklärte der Präsident des deutschen Bundes der Steuerzahler. »Selbst gegenüber der deutschen Beamtenschaft leben EU -Beamte in einem Schlaraffenland.« Die Leitungsebene der EU zeigte sich empört, es gebe viel weniger Spitzenverdiener, außerdem müssten gute Leute auch gut bezahlt werden, sonst würde sich niemand zum Dienst nach Brüssel melden. Sie bestritt aber nicht, dass das reale Nettogehalt vieler EU -Mitarbeiter höher als ihr formales Bruttogehalt ist. Auch dies eine Art Wunder.
    Alles Übrige ist eher erstaunlich als wundersam. Nach dem durchschlagenden Erfolg der am 1. September 2012 in Kraft getretenen 14-seitigen Verordnung über die »Gestaltung von Haushaltslampen mit ungebündeltem Licht«, vulgo Energiesparlampe, kam ein Frankfurter Unternehmer auf die Idee, 60-Watt-Birnen in Konservendosen zu verpacken und sie als »Kultur-Reserve« anzubieten, damit sie »im Notfall als letztes klassisches Licht« verwendet werden können. Es dauerte nicht lange, bis er von irgendeiner Frankfurter Behörde abgemahnt wurde und die Aktion abbrach.
    Allerdings: Stoßfeste »Speziallampen«, wie sie in der Industrie, im Bergbau unter Tage und auf Schiffen benutzt werden, dürfen weiter angeboten werden – allerdings nur mit dem auf die Packung aufgedruckten Hinweis »Nicht für den Haushalt geeignet«, obwohl sie in die üblichen Fassungen passen.
    Sobald sich diese Lücke herumgesprochen hatte, gab die Sprecherin des Energie-Kommissars Oettinger bekannt, »es wäre nicht akzeptabel, diese Lampen in dem gleichen Regal mit LED oder Energiesparlampen für Normalhaushalte zu platzieren«, sie müssten separat ausgelegt werden, wie Narkotika in einer Apotheke. Zugleich forderte sie die Marktüberwachungsbehörden zu Vor-Ort-Kontrollen auf, versicherte aber zugleich, Kunden hätten »keine Konsequenzen« zu befürchten. Wenn es also bei Ihnen demnächst um sieben Uhr morgens zweimal klingelt, dann wird es der Bote von DHL oder UPS mit einem Paket sein, aber nicht der Mitarbeiter einer »Marktüberwachungsbehörde«, bei der ein Nachbar Sie denunziert hat.
    Tatsächlich kündigte das Landesamt in Berlin an, gleich sieben neue Stellen für Mitarbeiter der Marktüberwachung zu schaffen. Denn die Arbeitslosigkeit in Berlin ist hoch und das Stellenangebot begrenzt. Insofern war die Verordnung über die »Gestaltung von Haushaltslampen mit ungebündeltem Licht« auch ein Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zumindest in Berlin.
    Etwa zur gleichen Zeit berichtete die Londoner »Daily Mail« von einer Initiative des » EU -Komitees für Frauenrechte und Geschlechtergleichheit« zur Abschaffung von Unterrichtsmaterialien, die Schülern und Schülerinnen »ein traditionelles Rollenverständnis« vermitteln. Es sei wichtig, Kinder so früh wie möglich dem »Einfluss von Geschlechterstereotypen« zu entziehen. Nur wenige Wochen später gaben einige deutsche Kinderbuchverlage bekannt, sie würden Klassiker wie »Räuber Hotzenplotz« und »Pippi Langstrumpf« dem Zeitgeist entsprechend gendermäßig auf den letzten Stand bringen. In diesem Fall war also nicht einmal eine Verordnung nötig, um eine bescheuerte Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Bald können Kinder im kalten Licht von Energiesparlampen Geschichten lesen, in denen Jungen mit Puppen spielen und Mädchen Baumhäuser bauen. Brüssel sei Dank. Man könnte leicht auf die Idee kommen, unter den EU -Kommissaren sei ein Wettbewerb in der Disziplin »Ich hab da was, das du nicht hast« ausgebrochen.
    Der EU -Verkehrskommissar Siim Kallas aus Estland legte im Sommer letzten Jahres, also in einer nachrichtenarmen Zeit, einen Plan zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Europa vor. Autos, die älter als sechs Jahre sind, sollten jedes Jahr zur Hauptuntersuchung vorfahren, denn: »Jeden Tag sterben auf europäischen Straßen mehr als fünf Menschen bei Unfällen, die durch technisches Versagen verursacht werden.« Vermutlich sterben jeden Tag in Europa mehr als fünf Menschen bei Unfällen im Haushalt, ohne dass bis jetzt irgendjemand gefordert hätte, die Benutzung von

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