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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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könnte die fehlende gemeinsame europäische Erzählung ersetzen. Polnische Firmengründer, die jungen Arbeitslosen in Spanien erklären, wie sie sich selbständig machen können, am besten als Experten für Familienförderung nach dem dänischen Vorbild. Alle anderen, die »was Gutes tun« möchten, können sich beim Europäischen Freiwilligendienst bewerben. Das ist gelebte Integration! Frage nicht, was Europa für dich tun kann, frage, was du für Europa tun kannst!

11. Wann geht es dem Leberkäse an den Kragen?
    Gilbert Keith Chesterton wurde 1874 als Protestant geboren und trat im Alter von 48 Jahren zum Katholizismus über. Er schrieb Kolumnen für Londoner Zeitungen, verfasste philosophische Abhandlungen, Romane und Kurzgeschichten. Die bekanntesten handeln vom »Father Brown«, einem Geistlichen, der mit Hilfe seines gesunden Menschenverstandes die kompliziertesten Kriminalfälle löst. Chesterton selbst schaffte es, »komplexe« Sachverhalte auf einfache Formeln zu reduzieren. Beispiel: »Anstatt uns zu fragen, was wir mit den Armen machen sollen, sollten wir uns lieber fragen, was die Armen mit uns machen werden.«
    Oder: »Das Problem des Kapitalismus ist nicht, dass es zu viele, sondern dass es zu wenige Kapitalisten gibt.« Als Alternative zum Kapitalismus auf der einen und Sozialismus auf der anderen Seite empfahl er den »Distributismus«: eine möglichst breite Streuung des Eigentums an Produktionsmitteln. Wie recht er damit hat, zeigt sich heute in den Regionen, die tatsächlich viele kleine Unternehmen besitzen wie das Veneto und Vorarlberg oder wie die Großräume Stuttgart oder Mannheim.
    Würde Chesterton heute leben, wäre er ein »engagierter Gesellschaftskritiker«, so einer wie Heiner Geißler oder Klaus Staeck, nur witziger und weniger ideologisch festgelegt. Eines der schönsten Bonmots, die ihm zugeschrieben werden, ist von einer bestechenden Aktualität: »Seit die Menschen nicht mehr an Gott glauben, glauben sie nicht an Nichts, sie glauben allen möglichen Unsinn.«
    Der Unsinn, an den die aufgeklärten Menschen von heute glauben, heißt »Europa« mit Vor- und »Klima« mit Nachnamen. Das sind die säkularen Religionen des 21. Jahrhunderts: Der Glaube an die von Menschen verursachte globale Klimakatastrophe und daran, dass es zu »Europa« keine Alternative gibt, dass wir alle im selben Boot sitzen und weder aussteigen noch umkehren können. Das sind keine Tatsachen oder Meinungen, das sind Glaubenskundgebungen. Und Glaubensfreiheit ist eine der Säulen einer freien Gesellschaft. Manche glauben an die klassenlose Gesellschaft, während ich weiß , dass man in der BusinessClass viel angenehmer reist als in der Economy.
    Allerdings habe ich, seit ich vor vielen Jahren einmal Lourdes besuchte, eine gewisse Affinität zum Katholizismus. Nein, ich glaube nicht an die Heilige Dreifaltigkeit, aber der Unterhaltungswert der katholischen Gottesdienste übertrifft den aller anderen Konfessionen, mit Ausnahme der Armenier. Es ist Showbusiness pur. Dagegen wirken die Aufführungen auf dem Altar der EU geradezu erbärmlich. Nach jedem Konklave, von denen es in den vergangenen fünf Jahren über 20 gegeben hat, stellen sich die Teilnehmer zu einem Gruppenbild mit Dame auf. Dann verkünden sie die baldige Genesung der Europa-Idee auf der Grundlage von Freiheit und Solidarität. Es ist wie bei den Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm: Man weiß schon im Voraus, wie das Abschluss-Kommuniqué lauten wird.
    Und was Wunder angeht, sieht die Bilanz noch ernüchternder aus. Bis jetzt ist noch bei keinem EU -Gipfel der Geist von Konrad Adenauer oder Robert Schuman erschienen, beim März-Gipfel 2013 konnten sich die Teilnehmer nicht einmal auf einen gemeinsamen Haushalt für den Zeitraum von 2014 bis 2020 einigen. Man habe zwar bei der Bewältigung der Krise »große Hindernisse überwunden«, resümierte Ratspräsident Van Rompuy gleich zu Beginn des Treffens. Doch hätten diese Ergebnisse »noch nicht zu stärkerem Wachstum und mehr Jobs« geführt. Fortan müsse man wirtschaftliche Turbulenzen vermeiden, gesunde Staatshaushalte sichern, Arbeitslosigkeit bekämpfen und langfristiges Wachstum fördern – alles gleichzeitig, alles wie gehabt.
    Ich wunderte mich, dass niemand aufstand und fragte: »Und was habt ihr bis jetzt getan? ›Mensch ärgere dich nicht‹ gespielt?«
    Das einzige nachhaltige Wunder, das man der EU gutschreiben muss, ist die wundersame Vermehrung ihres Personals auf

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