Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
Gegenteil: Der Generaldirektor der FAO (Food And Agriculture Organization of the United Nations) hat im Juni dieses Jahres auf einer Konferenz in Rom erklärt: »Wir sind die erste Generation, die dem Hunger den Garaus bereiten kann, der die Menschheit seit Beginn der Zivilisation gepeinigt hat.« Auch andere apokalyptische Lustängste blieben unbefriedigt. Inzwischen weiß man, dass nicht der Mangel an Ressourcen Ursache für den Hunger ist, sondern ein Mix aus Korruption, Missmanagement, Herrschaft von Warlords (Somalia) und staatlicher Planwirtschaft zugunsten der Rüstung (Nordkorea).
Ich bin mehr als skeptisch, wenn ich Vorhersagen von Experten lese, die mich davon überzeugen wollen, in 30 oder 50 Jahren würde der pazifische Inselstaat Tuvalu infolge der globalen Erwärmung in den Fluten untergehen und Köln nicht am Rhein, sondern an der Nordsee liegen. Für die Lebensqualität der Domstadt wäre das nur von Vorteil. Ich höre auch nicht mehr hin, wenn es um das Aussterben der Eisbären geht, denn deren Population nimmt nicht ab, sondern zu, ebenso wie die Umsätze der Organisationen, die sich für das Überleben der großen weißen Kuscheltiere einsetzen. Und was die Wale angeht, die von den brutalen Isländern und Japanern gejagt werden, so warte ich nur darauf, dass irgendeine NGO in Indien zum Protest gegen das millionenhafte Abschlachten von Kühen in Europa aufruft. Aber das nur nebenbei. Ich misstraue von Natur aus Vorhersagen, die mich dazu bringen wollen, mein schlechtes Gewissen durch Ablasszahlungen zu entlasten.
Was eine Vorhersage taugt, weiß man, naturgemäß, immer erst hinterher. Francis Fukuyamas These vom »Ende der Geschichte«, Anfang der 90er-Jahre als Buch erschienen, wurde als eine philosophische Meisterleistung gefeiert, die Synthese aus Marx, Hegel, Kant, Locke und Hobbes. Und tatsächlich schien es durchaus plausibel, dass mit dem Ende der Sowjetunion die Demokratie und die Marktwirtschaft sich weltweit durchsetzen würden.
Das Buch des amerikanischen Politologen Samuel Huntington »Clash of Civilizations and the Remaking of World Order«, 1996 veröffentlicht, wurde dagegen eher kritisch bis ablehnend aufgenommen. In Deutschland erschien es unter dem leicht irreführenden Titel »Kampf der Kulturen« . Zivilisation oder Kultur – was Huntington behauptete, widersprach dem Zeitgeist der 90er-Jahre, der sich an Begriffen wie »one world«, »multikulturell« und »postmodern« berauschte. Nicht alle Zivilisationen/Kulturen seien gleich oder gleichwertig, es gebe grundsätzliche Gegensätze, die allein mit gutem Willen nicht zu überbrücken seien. Der Westen sei im Begriff, »kulturellen Selbstmord« zu begehen, während China und die islamischen Länder eine immer größere Rolle in der globalen Politik spielen würden.
Dann kam 9/11, der Krieg in Afghanistan, der Sturz von Saddam Hussein, zuletzt der »Arabische Frühling«. Niemand spricht mehr vom »Ende der Geschichte«. Auf dem Friedhof der Illusionen musste ein weiterer Grabstein errichtet werden. Dafür ist der »Kampf der Kulturen« im vollen Gange. Die Vertreter der einen Seite fühlen sich immerzu beleidigt, diskriminiert und missverstanden, sie sind bereit, ihr Leben für ihren Glauben zu opfern; die Vertreter der anderen Seite fragen sich: Was machen wir falsch, dass sie uns nicht mögen? Und je mehr sie sich darum bemühen, den anderen entgegenzukommen, je öfter sie sich entschuldigen, umso unbeliebter machen sie sich.
Solche asymmetrischen Phänomene sind die Folge einer Erwartungshaltung aus der Welt der Paartherapie: Wenn ich lieb zu dir bin, bist du lieb zu mir. Allein, die Rechnung geht nicht auf. Weder global noch bilateral. Deutschland war in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg noch nie so unbeliebt wie in den letzten Wochen und Monaten. Und je lauter deutsche Politiker versichern, sie wollten Europa nicht germanisieren, sondern Deutschland europäisieren, umso suspekter machen sie sich. Der Klassenprimus ist nie beliebt, nicht einmal wenn er abschreiben lässt, denn auch das zeugt nur von seiner Überlegenheit. Auch das Misstrauen in die Funktionsfähigkeit der EU war noch nie so groß. Gaben vor fünf Jahren 36 Prozent der Bundesbürger an, kein Vertrauen in die EU zu haben, waren es Anfang 2013 schon 59 Prozent. In Frankreich (56 Prozent), Italien (53 Prozent) und Spanien (72 Prozent) ist die Stimmung ebenfalls umgeschlagen, seit die ökonomische Binsenweisheit ans Tageslicht gekommen ist, dass Wohlstand
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