Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
schießen.
Allerdings: Alle Überlegungen, was im Falle des Falles passieren würde, sind Spekulationen, die auf computergenerierten Modellen, Extrapolationen und Panik-Szenarios beruhen. Wenn schon eine Mini-Ökonomie wie die zyprische für den Bestand der EU beziehungsweise der Euro-Zone von »systemischer« Bedeutung ist, dann kann das ganze System nicht sehr stabil sein.
Über die Frage, ob es nicht für alle Beteiligten besser wäre, marode Volkswirtschaften sich selbst zu überlassen, gehen – erwartungsgemäß – die Ansichten der Experten so weit auseinander wie über die Denksportaufgabe, was zuerst da war, die Henne oder das Ei. Werner Sinn, einer der bekanntesten deutschen Ökonomen, Präsident des »Instituts für Wirtschaftsforschung«, widerspricht entschieden der Behauptung von Angela Merkel, Deutschland habe wie kaum ein anderes Land vom Euro profitiert. Und er kann es belegen. Auch was den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone angeht, ist er anderer Meinung als die Kanzlerin:
»Erstmal ist es für die Griechen ein großer Nachteil, wenn sie im Euro bleiben, weil sie nicht wettbewerbsfähig sind und eine Massenarbeitslosigkeit haben. Aber auch für die Gläubigerländer – und da steht Frankreich an erster Stelle – ist es letztlich nicht sinnvoll, wenn Griechenland drinbleibt und nicht wettbewerbsfähig ist, weil Griechenland dann nie etwas zurückzahlen kann.«
Die »Vergemeinschaftung der Haftung in der Eurozone«, sagt Sinn, habe »eine neue Dimension« angenommen. Die Länder müssten »immer weiter helfen«, denn wenn sie es nicht tun, »bricht etwas zusammen«. Fazit: »Europa betreibt ein Ponzi-Spiel, bei dem man immer wieder neue Spielteilnehmer aktiviert, um die alten auszahlen und damit beruhigen zu können.«
Wissen Sie, was ein Ponzi-Spiel ist? Der Namensgeber, Charles Ponzi, ein Italo-Amerikaner, war einer der größten Schwindler und Betrüger der neueren amerikanischen Geschichte; der von ihm erfundene »Ponzi-Trick« ist eine Bezeichnung für Schneeballsysteme und Kettenbriefe, bei denen die Ersten abkassieren und die Letzten ihre Einsätze verlieren. Ponzi war mit seinem Trick extrem erfolgreich. Er versprach den Geldgebern Renditen von 50 bis 100 Prozent, je nach Laufzeit der Einlage, setzte Millionen um und landete schließlich im Gefängnis.
Charles Ponzi starb, vollkommen verarmt, in einem Krankenhaus in Rio de Janeiro an den Folgen eines Hirnschlags. Seine Ersparnisse deckten gerade die Kosten der Bestattung. Mehr als 60 Jahre später war Bernie Madoff mit derselben Methode ebenfalls extrem erfolgreich. Er verpulverte etwa 65 Milliarden Dollar und sitzt derzeit in einem US-Gefängnis eine Strafe von 150 Jahren ab.
Allein diese beiden Beispiele müssten reichen, alle Alarmglocken läuten zu lassen, wenn ein renommierter Ökonom behauptet, Europa betreibe ein Ponzi-Spiel, um alte Schulden mit neuen Schulden zu bezahlen. Aber der amtierende Finanzminister macht mit seinem »Wir-haben-alles-im-Griff«-Programm weiter und der Finanzexperte der FDP , Fraktionschef Brüderle, sieht die eigentliche Gefahr in der Forderung der neu gegründeten »Alternative für Deutschland«, an deren Spitze ebenfalls ein Ökonom steht, zur D-Mark zurückzukehren. »Wenn wir die D-Mark wieder einführen«, so Brüderle, »wird sie erheblich aufwerten. Unsere Exporte würden zu teuer, und wir hätten erhebliche Einbrüche in der deutschen Wirtschaft. Folge davon wäre eine höhere Arbeitslosigkeit.«Deutschland, sagt Brüderle, dürfe »niemals einen Sonderweg« einschlagen. Denn: »Das hat sich in unserer Geschichte immer als fatal erwiesen. Europa darf in einer globalisierten Welt nicht auseinanderbrechen, damit wir den Anschluss nicht verlieren.«
Das sind keine Argumente, das sind Beschwörungsformeln, Voodoo für Anfänger. Was Brüderle als deutschen »Sonderweg« bezeichnet, war kein Abseitsstehen, es war der missglückte Versuch, Europa zu germanisieren und sich der ganzen Welt als Vorbild anzudienen. Und wenn er sagt, Europa dürfe nicht auseinanderbrechen, dann ist das eine jener Durchhalteparolen, mit denen vollendete Tatsachen geleugnet werden, der Übermut der Verzweiflung. Denn Europa ist »gefühlt« längst auseinandergebrochen und wird nur noch von dem Willen zusammengehalten, diese Einsicht nicht zuzulassen. Wie ein vermögendes Ehepaar, das sich nur deswegen nicht scheiden lässt, weil die Kosten der Güterteilung unberechenbar sind. »Eine Rückkehr zur D-Mark würde
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