Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
und Wachstum nicht ewig auf Pump finanziert werden können und dass es sehr ungemütlich wird, wenn Rechnungen auf den Tisch kommen, die man nicht begleichen kann.
Deutschland hat sich aus einer anfänglichen Win-win-Situation in eine Lose-lose-Lage gebracht. Indem es, wie von Helmut Schmidt gefordert, mehr Verantwortung für Europa und den Euro reklamiert als andere Länder, setzt es sich auch stärker dem Verdacht aus, Profit aus der jeweiligen Situation zu ziehen. Ein Verdacht, den deutsche Politiker sehr gerne nähren, indem sie mit obskuren Zahlenspielen an der Heimatfront zu punkten versuchen. »Wir sind die ökonomischen Gewinner, was die Zahlungsströme insgesamt angeht«, sagt der SPD -Chef Sigmar Gabriel, »wir haben unterm Strich 500 Milliarden Euro mehr eingenommen, als wir an Europa überwiesen haben.«
Ich weiß nicht, wen Gabriel meint, wenn er »wir« sagt – wir Sozialdemokraten, wir Deutsche, wir Import-Export-Unternehmer, wir Audi-Fahrer – jedenfalls hat er keine Ahnung, wovon er redet. Er verrechnet – unterm Strich – den Anteil der Bundesrepublik am EU -Budget mit den Einnahmen der deutschen Hersteller aus deren Exporten. Also Staatsknete mit unternehmerischen Erlösen. Damit könnte man allenfalls erklären, wie der Staat der Wirtschaft unter die Arme greift, direkt mit Subventionen oder indirekt mit Beiträgen an die EU -Kasse, nicht aber, dass »wir die ökonomischen Gewinner« sind, denn wo Gewinne gemacht werden, da werden auch Verluste »erwirtschaftet«. Mit dieser Art der »kreativen« Buchhaltung könnte man auch behaupten, der Vorstandsvorsitzende von VW und sein Fahrer seien, unterm Strich, beide Millionäre. Und wenn man das »mittlere Einkommen« eines portugiesischen Fischers mit dem eines deutschen Berufspolitikers in einen Hut wirft und ordentlich durchmischt, steht der Portugiese gar nicht so schlecht da.
So kommt man mit richtigen Zahlen zu falschen Ergebnissen. So wird Propaganda gemacht. So haben auch Sowjetökonomen errechnet, dass ein Werktätiger in Magnitogorsk sich mit seinem Einkommen einen besseren Lebensstandard erlauben kann als ein Arbeiter in Bergkamen. Wenn ein System zu solchen Tricks greifen muss, dann ist es mit seiner Weisheit ziemlich am Ende.
Nein, ich sage nicht den unmittelbar bevorstehenden Untergang Europas oder den Zusammenbruch der Euro-Zone voraus. Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, aber das muss nicht heißen, dass die Schöpfung in 144 Stunden vollendet war. Wir wissen nicht, wie lange »ein Tag« zur Zeit des Urknalls war. 24 Stunden? Oder 24000 Jahre heutiger Zeitrechnung? Die »letzten Tage Europas« können sich eine Weile hinziehen. Niemand kann berechnen, wie lange es dauern wird, bis die Ressourcen aufgebraucht sind, die eingesetzt werden müssen, »damit wir den Anschluss nicht verlieren«. Möglich, dass wir den Anschluss längst verloren, es aber nicht gemerkt haben. So wie wir das Licht von Sternen sehen können, die längst implodiert sind. Ich möchte nur, dass irgendein Politiker aufsteht und sagt: »Sorry, Leute, wir haben uns vertan, wir haben jetzt nur die Wahl zwischen ›volle Kraft voraus‹ oder ›volle Kraft zurück‹, aber egal wie wir uns entscheiden, es wird uns Blut, Schweiß und Tränen kosten. Und nichts wird so werden, wie es einmal war. Die fetten Jahre sind vorbei.«
Angela Merkel hat einen ersten zaghaften Schritt in diese Richtung getan. In einem Interview mit der »Bild« Mitte April 2013 sagte sie en passant: »Wohlstand auf Pump geht nicht mehr, das muss allen klar sein.«
Wirklich? Muss es das? Ende 2012 hatten die »öffentlichen Hände« der Bundesrepublik, also der Bund, die Länder, die Gemeinden usw., einen Schuldenberg von über zwei Billionen Euro (zweitausend Milliarden) angehäuft. Das war etwas weniger als das Siebenfache des Bundeshaushalts von 302 Milliarden für das Jahr 2013. Die Aussichten, diese Schulden jemals loszuwerden, sind so real wie die Chance, dass Deutschland den Ersten Weltkrieg noch nachträglich gewinnt. Mit diesen Schulden ist der Wohlstand in der Bundesrepublik über Jahrzehnte finanziert worden: die Eigenheimzulage und die Kilometerpauschale, die Subventionen für die Landwirtschaft und die Solarindustrie, die Familienhilfen und die Abwrackprämie für Altautos. Aber auch eine Steuergesetzgebung, die es findigen Unternehmenssteuerjuristen ermöglicht, die Vorteile des Landes – Rechtssicherheit, Konsumkraft und Infrastruktur – zu nutzen, ohne dafür
Weitere Kostenlose Bücher