Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
nicht ankündigen. Erst sollen vollendete Tatsachen geschaffen werden, dann kommt die erzwungene Solidarität ganz von allein. Und das Tollkühne an solchen Versprechen ist: Die Eurokraten machen kein Hehl aus ihren Absichten. Sie sind von einer entwaffnenden Ehrlichkeit, wie ein Bankräuber, der seine Absicht, eine Bank zu überfallen, auf Facebook bekannt gibt. Zum Beispiel so:
»Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. «
Der das gesagt hat, ist ein Berufspolitiker, der wie kein anderer »Europa« buchstäblich verkörpert: Jean-Claude Juncker, seit 1995 Ministerpräsident von Luxemburg, dienstältester Regierungschef in der Europäischen Union, von 2005 bis 2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe. In den 25 Jahren von 1988 bis 2013 wurde JCJ 75 Mal für sein vorbildliches Wirken um ein geeintes Europa geehrt. So viele Orden und Medaillen prangten nicht einmal auf der Uniform von Leonid Breschnew, und der war immerhin Generalsekretär des ZK der KPdSU , Staatsoberhaupt und Marschall der Sowjetunion.
Juncker ist unter anderem: Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes der Bundesrepublik mit Stern und Schulterband und Großoffizier der französischen Ehrenlegion, Ehrendoktor der Universität Bukarest und Ehrenbürger der Stadt Trier, Europäer des Jahres der Gesellschaft Werkstatt Deutschland und Ehrenbürger der Stadt Orestiada in Griechenland, Träger der Coudenhove-Kalergi-Plakette der Europa-Union Münster und des Staatspreises des Landes Nordrhein-Westfalen, Europäer des Jahres 2005 und Banker des Jahres 2008, Ehrensenator der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste und Rezipient des Europapreises der Dienstleistungswirtschaft, Empfänger der Medaille für besondere Verdienste um Bayern in einem vereinten Europa und Kommunikator des Jahres der Deutschen Public Relations Gesellschaft, Träger des Aachener Karlspreises und Schirmherr des gemeinnützigen Tierschutzvereins »Neufundländer in Not e.V.«
Angesichts einer Arbeitslosenquote von über 60 Prozent bei den 15- bis 25-Jährigen in Griechenland würde mancher junge Grieche gerne mit einem Neufundländer in Not tauschen.
Postscriptum: Des Wahnsinns fette Beute
Wenn Sie bis zum Schluss des letzten Kapitels dabeigeblieben sind, was ich hoffe, werden Sie nun vermutlich sagen: Alles schön und gut beziehungsweise alles schierch und schlecht, aber was fange ich mit dem Gelesenen an? Was kann ich, Monika Schmitz in Köln, Katharina Lustgarten in Bielefeld, Joe Schröder in München, Paul Nellen in Hamburg und Reinhard Mohr in Berlin damit anfangen? Nun, da gäbe es mehrere Optionen.
Sie könnten zum Beispiel, wie Howard Beale in dem Film »Network«, zum Fenster gehen, es weit aufreißen, sich hinauslehnen und schreien: »I’m as mad as hell and I’m not going to take this anymore!« Wenn Sie das jeden Abend zur selben Zeit machen, werden Sie irgendwann zu »Hart aber fair« mit Frank Plasberg eingeladen. Sie könnten aufhören, die »Tagesthemen« und das »Heute journal« zu sehen. Sie könnten eine Selbsthilfegruppe der »Anonymen Europäer« gründen und beim zuständigen EU -Kommissar für Gesundheit einen Antrag auf Förderung stellen. Sie können machen, was Sie wollen. Aber Sie wissen: Nutzen wird es nicht.
Warum also habe ich dieses Buch geschrieben? Aus demselben Grund, aus dem ich alle vorangegangenen Bücher geschrieben habe. Um mir selbst über die »Europäische Idee« Klarheit zu verschaffen. Ich bin das Thema relativ unvoreingenommen angegangen, skeptisch zwar, aber nicht ablehnend. Aber je tiefer ich in die Materie eintauchte, desto klarer wurde mir: Das »Projekt Europa« ist ein Koloss auf tönernen Füßen, eine literarische Fiktion wie Jule Vernes »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, eine Gebrauchsanweisung für Megalomanen, ein potemkinsches Dorf, das Remake der Geschichte vom Ikarus. Ich habe das Buch nicht geschrieben, um Ikarus vor dem Absturz zu bewahren. Ich fürchte, er ist schon abgestürzt, wir haben es nur nicht bemerkt, weil wir gerade dabei waren, gegen die EU -Verordnung zu revoltieren, mit der Ristorante- und Trattoriabetreiber verpflichtet werden sollten, Olivenöl nur noch in Flaschen auf Tische zu stellen, statt es in Karaffen abzufüllen. So sollte
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