Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
verhindert werden, dass minderwertiges Öl angeboten wird. Wobei ich mich darüber gewundert habe, dass Balsamico-Essig von der Verordnung verschont sein sollte. Als Lobbyist der Balsamico-Großproduzenten würde ich mir da Gedanken machen.
Im Gegensatz zu den wenigen marxistischen Freunden, die mir geblieben sind, bin ich der Ansicht, dass die Welt, in der wir leben, schon genug verändert worden ist; und dass es jetzt darauf ankommt, sie zu beschreiben. So, wie sie ist, nicht so, wie wir sie gerne hätten. Es reicht nicht, vorneweg zu marschieren und »mir nach!« zu rufen. Marx war seiner Zeit weit voraus; dafür hat er uns einen Schrottplatz der Illusionen hinterlassen.
Ich denke, dass jeder Behandlung eine ordentliche Untersuchung vorausgehen muss, eine Bestandsaufnahme, ein Kassensturz. So etwas habe ich mit diesem Buch versucht – selektiv, subjektiv und im Wissen um die Unmöglichkeit, mit der Aktualität Schritt zu halten. Ich kam mir vor, wie ein Dorfpolizist, der auf einem Moped Räuber verfolgt, welche die örtliche Postbank überfallen haben und mit einem Turbo-Porsche davongerast sind.
Seit ich den Hauptteil des Buches abgeschlossen habe, ist einiges passiert. Kroatien wurde als 28. Mitgliedsland in die EU aufgenommen. Die Kanzlerin hatte – klug taktierende Wahlkämpferin – Wichtigeres zu tun, als zum Festakt nach Zagreb zu reisen, und auch sonst fiel der Jubel eher verhalten aus.
In fast allen Berichten wurde darauf hingewiesen, dass Kroatien die Aufnahmebedingungen eigentlich nicht erfüllt. Zu geringe Produktivität, zu viel Korruption, zu viele Arbeitslose, eine behäbige Bürokratie und veraltete Infrastrukturen, dafür aber »viel Sonne und Meer«, wie es in einem TV -Bericht hieß, in dem auch ein Kroate zu Wort kam, der vom Flaschensammeln lebt und darauf hofft, mit dem Beitritt zur EU werde »alles besser werden«.
Die offiziellen Repräsentanten der EU waren freilich begeistert. Einer mehr an Bord! Hipp, hipp, hurra! Der Präsident der EU -Kommission, José Manuel Barroso, gratulierte den Kroaten zu einer neuen Adresse: »Ihr habt Kroatien an seinen richtigen Ort, ins Herz Europas, gebracht.« Bis zum 30. Juni hatte das Land offenbar am Arsch der Welt verharrt. Ratspräsident Herman Van Rompuy vollzog die Trauung: »In guten wie in schlechten Zeiten, an schönen und an regnerischen Tagen, müssen wir als Union vereint bleiben.« Der Präsident des EU -Parlaments, Martin Schulz, gab den Herbergsvater: »Willkommen zu Hause«, rief er den Kroaten zu, als wären sie bis zu diesem Moment unbehaust gewesen.
Da hatte der kroatische EU -Kommissar seine Amtsräume in Brüssel bereits bezogen: Neven Mimica war zuvor als stellvertretender Premier unter anderem zuständig für die Außenbeziehungen und die europäische Integration Kroatiens. Mimicas eigener Integration zuliebe wurde das »Kommissariat für Gesundheit und Verbraucherschutz« geteilt. Dem aus Malta stammenden Kommissar Tonio Borg blieb die Gesundheit, Mimica bekam den Verbraucherschutz.
»Neven Mimica ist ein erfahrener, engagierter Europäer, der einen wichtigen Beitrag zur Arbeit der Europäischen Kommission und gerade auch zum entscheidenden Bereich des Verbraucherschutzes leisten kann«, erklärte Kommissionspräsident Barroso. Wie »entscheidend« der Bereich des Verbraucherschutzes ist, kann man schon daran erkennen, wie oft das Amt den Inhaber gewechselt hat. Das Ressort ist ein Wanderpokal; mal gehörte es zu »Umwelt und Verkehr«, mal zu »Binnenmarkt, Zollunion, Erweiterung« – bevor diese Ressorts nach dem Prinzip der Zellteilung gesplittet wurden –, dann kam es unter das Dach der »Regionalpolitik«, bevor es der »Fischerei« und danach der »Gesundheit« zugeschlagen wurde, um schließlich zum 1. Juli 2013 auf eigenen Füßen zu landen. Aber auch das nur vorübergehend. Denn nächstes Jahr, nach der Neuwahl des Europaparlaments, werden auch die Posten der Kommissare neu besetzt.
Was war noch passiert, das es verdienen würde, festgehalten zu werden? Der deutsche Energiekommissar Günther Oettinger erklärte in einer Rede vor der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer Europa zu einem »Sanierungsfall«. Brüssel, so Oettinger, habe den Ernst der Lage »noch immer nicht genügend erkannt«. Statt die Krise zu bekämpfen, zelebriere Europa »Gutmenschentum« und führe sich als »Erziehungsanstalt für den Rest der Welt« auf. Worauf Martin Schulz, der Präsident des EU -Parlaments, den Kommissar
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