Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
zurechtwies: »Da ist Oettinger wohl bei einigen Äußerungen der schwäbische Gaul durchgegangen.« Und: »Wer die EU als Erziehungsanstalt bezeichnet, sollte sich nicht selbst wie ein Oberlehrer aufführen.« Denn der Einzige, der die EU kritisieren darf, und zwar immer »konstruktiv« und »von innen heraus«, ist der Präsident des EU -Parlaments, Martin Schulz, der, wie wir schon wissen, den Prototyp des Oberlehrers ebenso verkörpert wie den kleinsten gemeinsamen gedanklichen Nenner der Brüsseler Nomenklatura. Und würde er nicht Rheinisch, sondern Sächsisch sprechen, würden sich seine Zuhörer erst gruseln und dann fragen, ob er mit einem monatlichen Grundgehalt von 24874 Euro nicht ein wenig überbezahlt ist.
Aber das ist nur ein Nebenaspekt der ganzen Causa. Entscheidend ist nicht, was die Eurokraten verdienen, sondern was sie leisten. Und die Leistungsbilanz ist erbärmlich. Es hat sich inzwischen herumgesprochen – und man kann es nicht oft genug denen vorhalten, die Europa für ein »Zukunftsprojekt« halten –, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland bei 60 Prozent liegt, in Spanien bei 55 Prozent, in Portugal und in Italien bei 40 Prozent. Weniger bekannt ist, dass die Zustände in der Slowakei (35 Prozent), Ungarn und Bulgarien (je 29 Prozent) auch nicht viel besser sind. In Irland sind 30 Prozent der 15- bis 25-Jährigen ohne Arbeit, im Volksheim Schweden 25 Prozent und in England 20 Prozent. Nur Deutschland fällt aus dem Rahmen – hier sind es gerade mal 7,6 Prozent.
Deswegen hat die Kanzlerin Anfang Juli alle 28 Arbeitsminister der EU -Staaten zu sich ins Kanzleramt nach Berlin gebeten, um über Maßnahmen zu beraten, wie man der Jugendarbeitslosigkeit beikommen könnte. Vorher hatte schon die EU -Kommission bekannt gegeben, sie würde ab 2014 sechs Milliarden Euro zusätzlich bereitstellen, die vor allem in Berufsbildung investiert werden sollten. Bei etwa 5,5 Millionen arbeitslosen Jugendlichen in den Grenzen der EU wären das, aufgerundet, 1100 Euro pro Kopf. Auf dem Berliner »Gipfel der Hoffnungslosigkeit« (»Bild«) wurde dieser Betrag um sensationelle zwei Milliarden aufgestockt, auf acht Milliarden Euro oder 1400 Euro pro Kopf.
Am Ende der Konferenz, zu der auch 17 Staats- und Regierungschefs angereist kamen, war man sich einig, so die Kanzlerin, dass jeder einen Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen müsse, »um in einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung das Thema Jugendarbeitslosigkeit in den Blick zu nehmen«. Außerdem mahnte sie »mehr Mobilität in Europa« an. »Wenn wir uns das nächste Mal in diesem Kreis treffen, muss es Fortschritte geben.« Höchst zufrieden mit sich und dem Ergebnis des EU -Gipfels zur Jugendarbeitslosigkeit stellten sich die Teilnehmer zum Gruppenbild auf. Dann traten sie die Heimreise an.
Ich war sprach- und fassungslos. Zu gerne hätte ich gewusst, was dieser Gipfel gekostet hatte. Wahrscheinlich mehr als nur 1400 Euro pro Teilnehmer. Weil aber keiner der Hofberichterstatter diese Frage stellte, wurde sie auch nicht beantwortet. Es war eine perfekte Inszenierung der Belanglosigkeit, die nur einem Ziel diente: So zu tun, als würde man etwas tun.
Was Anfang Juli auf dem Gipfel im Kanzleramt aber nicht zur Sprache kam, war die allgemeine Arbeitslosenquote in der Eurozone, die im Mai 2013 auf 12,1 Prozent gestiegen war. In absoluten Zahlen bedeutete das einen Rekord: 19,2 Millionen Menschen ohne Arbeit, 1,3 Millionen mehr als ein Jahr zuvor. Wobei die Werte von Land zu Land erheblich variieren: Um die 5 Prozent in Deutschland, Österreich und Luxemburg, über 12 Prozent in Italien, fast 27 Prozent in Spanien und Griechenland. Ein Zyniker würde es so formulieren: Während die gute alte EWG mit ihrer gleichmacherischen Subventionspolitik nur Milchseen, Fleisch- und Butterberge hervorbrachte, schafft die neue EU immerhin ein riesiges Arbeitslosenheer – nur, wie will man dieses abbauen? Man kann es weder verbilligt abgeben wie die Weihnachtsbutter noch vor dem Verfallsdatum an Notleidende in der »Dritten Welt« verschenken.
Mit der allgemeinen Arbeitslosigkeit hat man sich auf der Regierungsebene offenbar schon abgefunden – als Kollateralschaden der permanenten »Rettungspolitik« angesichts der Staatsschuldenkrise –, aber was die Jugendarbeitslosigkeit angeht, da wollte man doch »ein Zeichen setzen«, denn immerhin geht es um diejenigen, die demnächst unsere Renten erarbeiten sollen. Und dazu müssen sie erst einmal Arbeit
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