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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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das weiß ich. Mit fünfzehn Knoten könnten wir es bis Taiwan schaffen und hätten wahrscheinlich sogar noch ein bißchen Treibstoff übrig. Nach Japan würde es ohne Zusatztanks nicht ganz reichen.«
    »Du hast gar nichts von China gesagt«, mischte sich Cuthbert ein. »Du könntest doch praktisch jeden Punkt der südchinesischen Küste von Hainan bis Schanghai erreichen, oder?«
    Emily nickte widerwillig.
    »Fahren Sie oft damit nach China?« Chan suchte in seinen Shorts nach Zigaretten.
    Emily starrte einen großen Zweimaster an, der gerade dabei war, das Großsegel zu hissen. Schon bald begann das Boot, wie eine Möwe über die Wellen zu fliegen.
    Emily sah Chan an. »Nun, hin und wieder. Übrigens: Sie haben Ihre Zigaretten auf der Brücke vergessen. Ich habe Sie Ihnen mitgebracht.«
    Sie holte die Packung lächelnd aus ihrer Tasche. »Sie brauchen sich keine Sorgen machen, wir fahren heute nicht nach China, sondern in die andere Richtung, ungefähr fünfundsiebzig Kilometer weiter südlich auf die Philippinen zu. Dort ist ein Riff. Mit Palawan oder Phuket läßt sich’s nicht vergleichen, aber man kann dort ganz ordentlich tauchen. Milton taucht auch, also werden wir zu dritt unterwegs sein. Für Jenny ist das in ihrem Zustand nichts.«

VIERUNDDREISSIG
    Chan stand am Bug, als die Crew den Anker herunterließ. Es war schon fast Nacht, und sie befanden sich mitten im Nichts. Der galvanisierte, schaufelförmige Anker platschte in die dunkle See und verschwand langsam darin. Der Kapitän steuerte ein Stück zurück, um sich zu vergewissern, daß der Anker sich im Meeresboden verfangen hatte, und schaltete dann die Motoren ab. Stille.
    Emilys Stimme drang aus den Lautsprechern: »Tut mir leid, daß ich euch störe, aber ihr seid auf dem ganzen Schiff verstreut. Soweit ich weiß, haben alle Hunger – ich übrigens auch. Also habe ich mir gedacht, wir essen zeitig. So in zwanzig Minuten auf dem hinteren Oberdeck.«
    Sie wiederholte den Satz in Mandarin.
     
    Die Crew schlug das Sonnensegel am hinteren Oberdeck zurück, und die ersten Sterne kamen zum Vorschein. Chan schaute Emily zu, wie sie in der Mitte des Tisches die Kerzen anzündete. Sie verwendete ein Gasfeuerzeug, das ihr Gesicht bei jeder Kerze in anderem Licht erhellte. Chan sah das entschlossene Kinn, die müden Augen, die ersten Anzeichen für das herannahende Alter, ihre unbändige Energie, den Schmollmund voller Bedauern und animalischer Lust. Vor jedem kleinen Lichtstrahl überzeugte sie sich davon, daß er sie beobachtete.
    Die anderen kamen von den Kabinen unter Deck herauf und nahmen ihre Plätze nach Emilys Anweisungen ein. Xian saß am einen Ende des Tisches beim Heck, Emily am anderen. Chan nahm gegenüber von Jenny Platz, die seinem Blick auswich. Dann kam die Köchin aus Sri Lanka mit den Hors d’œuvres fast lautlos die Treppe herauf, das Gesicht so schwarz, daß in der Dunkelheit nur ihre weißen Augen zu erkennen waren.
    Xian räusperte sich und sagte etwas auf Mandarin.
    »Mr. Xian möchte ein paar Worte sagen«, übersetzte Emily.
    »Mit Hilfe der Götter steigt China auf. Und meiner Meinung nach wird die Welt zusammen mit China aufsteigen. China ist das neue Schicksal der Welt. Ich freue mich, daß Sie, die Sie alle aus unterschiedlichen Ländern stammen, dieses Schicksal heute abend zusammen mit mir feiern wollen.«
    »Hört, hört«, sagte Cuthbert, noch bevor Emily mit ihrer Übersetzung fertig war.
    »Hört, hört«, wiederholte Jonathan mit lauter Stimme, offenbar, um Xian und Emily zu gefallen. Jenny wiederholte die Worte ebenfalls, jedoch ohne Überzeugung.
    »Darauf trinke ich.« Emily wartete ein wenig, um zu sehen, ob Chan etwas sagen würde, dann fügte sie hinzu: »Auf China.«
    Chan nickte. »Auf China.« Aus den Augenwinkeln sah er, daß der alte Mann ihn lächelnd beobachtete. Er beugte sich zu Emily vor. »Hat er wirklich gesagt ›mit Hilfe der Götter‹?«
    Emily zögerte. »Ja, das hat er gesagt.« Sie hob die Hand. »Ich weiß, der Ausdruck ist während der Kulturrevolution verboten worden – aber wir wollen nicht kleinlich sein. Schließlich hat er nicht gesagt ›mit Hilfe der Revolution‹ – können wir die Diskussion jetzt beenden?«
    Xian sagte etwas. Emily übersetzte.
    »Er hat Sie verstanden. Und er sagt, wenn er ›mit Hilfe der Götter‹ sagt, meint er das auch.«
    Chan sah Cuthbert an, der still vor sich hin lächelte.
    Jonathan räusperte sich. »Man denke nur, wie international wir heutzutage alle

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