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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Packung zu kommen, auf der er saß.
    »Ich könnte auch eine vertragen.«
    Er zündete zwei Zigaretten an und reichte ihr eine.
    Sie inhalierte tief und stieß den Rauch wieder aus. »Das ist die einzige, die ich in dieser Schwangerschaft rauchen werde, versprochen. Aber hier auf dem Boot mit dir, unter dem Sternenhimmel …« Sie senkte die Stimme, als erwarte sie, daß er sie unterbrechen würde. »Erinnerst du dich noch, wie wir mit dem Rauchen angefangen haben?«
    »Klar. In der Nacht, nachdem unsere Tante uns gesagt hat, daß sie sie umgebracht haben.«
    »Charlie, kein Mann wird je deinen Platz in meinem Herzen einnehmen, auch wenn ich jetzt ein Baby von Jonathan bekomme …«
    »Fang nicht wieder damit an. Ich bin dein Bruder, ein dummer, harter Bulle. Und er ist reich, erfolgreich, kann gut mit Leuten umgehen …«
    Sie kicherte. »Du kannst überhaupt nicht lügen. Anwälte sind wirklich Ekelpakete, findest du nicht auch? Wie er sich bei Xian und Emily einschleimt, geht mir ganz schön auf die Nerven.«
    Er lächelte in der Dunkelheit. Sie hatte ihr loses Mundwerk noch nicht verloren. Er versuchte, seine Stimme streng klingen zu lassen.
    »Wir sollten nicht so reden. Das ist wie Verrat.«
    »Tja, ich bin eben nur dir treu. Unterbrich mich nicht, das ist nun mal so. Als ich vor Schmerz nicht mehr aus und ein wußte, hast du mich in den Arm genommen und mich mit deiner Liebe gerettet. Wenn ich an diesen Sommer zurückdenke, habe ich das Gefühl, daß du mich die ganze Zeit festgehalten hast. Ich hatte nicht deine Stärke. Fast hätte ich den Verstand verloren – jetzt weiß ich das; ich habe viel über Traumata gelesen, über die Opfer von Gewalttaten …«
    »Bitte hör auf damit!«
    Sie schwieg einen Augenblick und fing dann wieder an: »Jonathan hat mich sehr gedrängt, dich zu diesem Ausflug zu überreden.«
    »Das habe ich mir schon gedacht.«
    »Ich weiß nicht so genau, warum, aber es hat mit Xian zu tun. Jonathan sagt, es ist in deinem Interesse, ihn kennenzulernen. Angeblich wird er Hongkong nach dem Juni kontrollieren. Wenn du ihm ein bißchen um den Bart gehst, könntest du Commissioner of Police werden.« Sie hob die Hand, um Chan am Sprechen zu hindern. »Ich habe ihm gesagt, daß du so etwas nicht machst, aber Jonathan hat gemeint, es steckt noch was anderes dahinter. Der alte Mann braucht deine Hilfe. Er wird dir alles geben, was du willst. Wenn du nichts annehmen möchtest, solltest du wenigstens so vernünftig sein, ihn dir nicht zum Feind zu machen. Er wird auf seine Weise auf dich zukommen. Ich weiß nicht, was er will, wahrscheinlich hat’s was mit den Fleischwolfmorden zu tun, oder?«
    »Ja?«
    »Mehr weiß ich auch nicht. Jonathan hat gesagt, es ist wichtig, daß du Xian in informeller Umgebung kennenlernst. Er hat so geklungen, als könnte es ziemlich unangenehm werden, wenn du nicht mitspielst.« Er spürte, wie sie seine Hand drückte. »Du paßt doch auf, oder?«
    Er drückte ihre Hand ebenfalls. »Mach dir keine Sorgen.«
    Sie schwieg eine ganze Weile. »Charlie, wenn das Baby erst mal da ist, werde ich ganz von Jonathans Welt, seinen Freunden, seinem Geld, seinen Dienern aufgefressen werden, weißt du das? Ich möchte nur, daß du mir sagst, ich bin nicht verrückt, daß uns in jenem Sommer etwas ganz Besonderes verbunden hat. Ich muß das wissen, weil die Reichen so … unaufrichtig sind. Möglicherweise wirst du der einzige Mensch in meinem Leben bleiben, dem ich vertraue.«
    Wie konnte er es verleugnen? Die Intensität jenes Sommers hatte sich unauslöschlich in seine Seele eingebrannt.
    Er zündete zwei weitere Zigaretten an und gab ihr eine. Sie nahm sie, trotz des Vorsatzes, den sie ein paar Minuten zuvor gefaßt hatte.
    Er inhalierte und stieß den Rauch langsam wieder aus. »Nachdem unsere Tante es uns gesagt hatte, habe ich jede Nacht von unserer Mutter geträumt. Eigentlich waren das keine richtigen Träume, sondern Ausflüge in eine andere Welt. Sie gehörte dorthin, sie war glücklich. Ich habe sogar am Tag geträumt. Es war, als wäre Mum bei uns.«
    »Dann war es also für dich genauso!«
    Er spürte, wie sie sich entspannte. Sie rauchten schweigend weiter. Das Sternbild des Orion, das am Rand des Horizonts aufgestiegen war, als er sich auf die Schwimminsel gesetzt hatte, war mittlerweile weiter nach oben gewandert. Jenny saß so nahe bei ihm, daß ihre Hüften sich berührten. Kinder saßen so da. Sie berührte seinen Bizeps an der Stelle, an der sich die

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