Die letzten Tage von Hongkong
Natürlich wollte ich Ihnen nicht das Wochenende verderben. Aber als ich gehört habe, wer sonst noch kommt, habe ich mir gedacht, Sie könnten vielleicht ein wenig Beistand gebrauchen.«
»Ich komme da nicht mehr mit«, sagte Chan. »Ich bin Polizist und wohne und arbeite im Dschungel von Mongkok. Meine Spezialität sind häßliche Verbrechen mit häßlichen Motiven. Ich kriege mein Geld dafür, daß ich Gangster mit ausgesprochen niedrigem IQ aufspüre. In neunzig Prozent meiner Mordfälle hat ein Ehepartner den anderen mit dem Hackebeil umgebracht, weil die Klimaanlage ausgefallen ist. Immer vorausgesetzt, das Paar hatte überhaupt eine Klimaanlage. Ich muß mir durch die Aufklärung großer Verbrechen nichts beweisen.«
Was hatte Cuthbert nur an sich, daß man ihn immer anlügen wollte? Chan war sein ganzes Leben noch nie so von einem Fall fasziniert gewesen, aber irgendwie zeugte es von schlechtem Geschmack, einem Diplomaten die Wahrheit zu sagen. Das war ganz so, als ärgere man eine Fledermaus mit einer grellen Lampe.
Cuthbert sah nicht so aus, als zweifle er an dem, was Chan gesagt hatte. »Ich weiß. Genau deswegen könnte ich Ihnen nützen. Jedenfalls besteht kein Grund, warum wir Gegner sein sollten. Nicht an einem so wunderbaren Tag wie heute auf dem tollsten Schiff der Welt. Das Leben ist zu kurz für solche Sachen.«
»Tja, für drei Menschen in Mongkok war es auch zu kurz.«
Chan nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette. Eine interessante Zigarette; wahrscheinlich schmeckte richtiger Tabak wirklich so.
Cuthbert war die Sorte Mann, die selbst noch ein gesundheitsschädigendes Laster kultivierte.
Cuthbert beugte sich neben Chan über die Reling und deutete auf einen Punkt gleich neben den schwimmenden Restaurants. Dann sagte er mit leiser Stimme: »Lassen Sie es nicht zu, daß sie Sie verführt, mein Freund. Nicht auf dieser Fahrt.« Dann, lauter: »Da drüben war das Feuer. Das hat drei Tage lang gebrannt. Erinnerst du dich noch, wie das schwimmende Restaurant in Flammen aufgegangen ist, Emily?«
Cuthbert hatte ihr Herannahen vor Chan bemerkt, der nicht gehört hatte, wie sie an Deck gekommen war. Und dabei war sie keine Frau, die sich mit einem bescheidenen Auftritt zufriedengab.
»Mm, damals war ich noch ein Kind.« Sie ließ den Blick langsam über den Yachthafen und dann über die Terrasse des Clubs schweifen.
Cuthbert sagte: »Wir haben ein Publikum, das uns bewundert. Charlie und ich haben uns grade drüber unterhalten.«
Emily schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Ja, ja, die starren uns immer alle nach, wenn wir rausfahren. Die meinen, das hier ist das Schiff des Gouverneurs. Natürlich ist seins viel größer, nicht wahr, Milton?«
»Es ist viel älter. Als ich das letzte Mal mitgefahren bin, mußten wir immer noch einen Sextanten verwenden.«
Emily wandte sich lachend an Charlie. »Sind die Briten nicht süß? Und clever. Hinter Selbstironie kann man alles verbergen.«
Sie stellte sich neben ihn an die Reling, so daß er zwischen den beiden eingeklemmt war. Durch das Deck fühlte Chan das Vibrieren des Motors. Die Aussicht veränderte sich schnell, als sie weiter hinausfuhren.
Cuthbert bot Emily eine Zigarette an, die sie nicht annahm. Er steckte das Silberetui wieder in die Tasche.
»Ach was, niemand beherrscht die Kunst der falschen Bescheidenheit besser als die Chinesen. Als ich das erste Mal nach Peking gekommen bin, hat’s dort immer noch Lokale gegeben, die sich ›Das schlechteste Restaurant der Erde‹ nannten. Aber das war natürlich, bevor Konfuzius den Säuberungsaktionen der Partei zum Opfer gefallen ist.«
»Genau das ist der Punkt«, sagte Emily. »Das war zu offensichtlich, es konnte nicht funktionieren. Aber ihr habt das größte Reich der Geschichte mit Bluffs und Bevormundung kontrolliert – und, daß ich’s nicht vergesse, mit gespielter Zurückhaltung.«
»Und dem Maxim-Gewehr. Wir haben angefangen, die Kolonien zurückzugeben, als die anderen sich auch welche besorgt haben.«
Als sie die Hafenmauer hinter sich gelassen hatten, wurde das Schiff schneller. Chan hörte das Jaulen der Turbomotoren hinter dem Dröhnen des Diesels.
»Nur der Neugierde halber: Wie weit könnte man mit einem solchen Schiff fahren?« fragte Chan. Er sah, wie Cuthbert die Stirn runzelte.
»Wenn Sie genauere Daten erfahren wollen, müßten Sie den Kapitän fragen«, antwortete Emily. »Aber selbst bei Höchstgeschwindigkeit hätten wir genug Treibstoff bis nach Manila,
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