Die letzten Tage von Hongkong
Schließlich ist sie Single.«
Chan grinste. »Eine Nacht mit mir, und sie wird auf ewig Single bleiben wollen.« Dann packte er plötzlich ihre Hand. »Es steckt doch noch was anderes dahinter, oder?«
Sie sah ihn an. »Sparen wir uns das bis später auf, ja? Ich begreife das alles nicht so richtig, aber die haben mir versprochen, daß es nur zu deinem Nutzen ist, wenn du dieses Wochenende kommst.«
Chan starrte sie an, bis sie den Blick senkte. »Ich würde lieber sterben, als daß jemand dir wehtut, das weißt du.«
Jenny warf einen Blick auf ihre Uhr. »Ich muß noch ein paar Dinge erledigen – Sachen, die die Crew nicht so gut kann, wie zum Beispiel Wein und Champagner aussuchen. Wir können alles vom Club holen, wenn du mir hilfst.«
Auf der Gangway half Chan seiner Schwester vom Boot. Sie gingen nebeneinander über das Schwimmdock: zwei Eurasier. Wie immer drehten sich die Leute nach Jenny um. Sie hatte die langen, schwarzen Haare zu einem Knoten zusammengebunden, und ihre dunklen Augen waren sehr groß und fast gar nicht schräg. Sie hatte die gleichen hohen Wangenknochen wie Chan und seine feinen Lippen, doch bei ihr wirkte alles sehr weiblich und zerbrechlich, wie eine chinesische Vase.
»Niemand würde denken, daß du kämpfen kannst wie eine Katze. Ich hab’ immer noch Narben von deinen Fingernägeln«, flüsterte Chan ihr ins Ohr.
»Du warst das einzige, was ich hatte, und ich war eifersüchtig.«
Sie sah ihn lächelnd an. »Ich bin froh, daß du gekommen bist. Ich weiß, wie sehr du solche Zusammenkünfte haßt, aber du kannst dich ja mit mir unterhalten. Und du kannst wieder mal tauchen. Emily taucht auch gern – unter Wasser mußt du nicht mit ihr reden.«
Er wartete im riesigen Foyer des Clubs, während sie Wein und Champagner auswählte. Als sie gerade wieder zum Boot zurückkehren wollten, murmelte Jenny: »Da kommt Emily.«
Ein weißer Rolls Royce mit blauen Polstern blieb vor dem Eingang zum Club stehen. Ein Chauffeur in Weiß stieg aus, um die hintere Tür aufzumachen.
Chan zuckte zusammen.
»Tut mir leid«, sagte Jenny. »Den nimmt sie nur, wenn sie Besuch von besonders wichtigen Leuten bekommt.«
Ein Chinese um die Siebzig stieg aus dem Wagen. Er trug eine weiße Jacke und eine blaue Hose – beide saßen schlecht –, dazu ein offenes schwarzes Hemd. Die Freizeitschuhe an seinen Füßen waren alt und ausgebeult. Chan fielen sofort die Hände auf: Sie waren schwer und knotig wie Ginsengwurzeln. Hinter dem alten Mann folgte Emily in weißen Shorts, einer blauen Seidenbluse und roten, flachen Schuhen. Plötzlich schien der alte Mann sich einer Landessitte zu entsinnen und trat einen Schritt beiseite, um sie vorbeizulassen, während die Diener die Tür für sie aufhielten. Chan hatte gedacht, die Leute blieben wegen des Rolls Royce und wegen Emily stehen, deren Gesicht oft in den Zeitungen abgebildet war, doch manche Chinesen sahen auch den alten Mann an, als würden sie ihn kennen. Chan hatte ihn noch nie gesehen, aber seiner Ansicht nach paßte er in eine bestimmte Kategorie.
Jenny beobachtete Chan, und er ertappte sie dabei. Sein Gesicht zuckte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.
»Wie gesagt – ich erklär’s dir später. Bitte bleib. Mir zuliebe.«
»Warum?«
»Mir zuliebe. Und dir zuliebe. Ich habe ihnen versprochen, daß du bleiben würdest.«
Chan warf ihr einen hastigen Blick zu und nickte dann. »Na schön. Dir zuliebe.« Chan nahm die Plastiktüte mit dem Champagner und dem Bordeaux in die Hand und folgte Jenny durch die Marmorlobby. Emily winkte ihnen zu. Jenny lächelte. Aus den Augenwinkeln sah Chan, wie ein weißer Toyota hinter dem Rolls Royce hielt. Zwei Männer stiegen aus – Chinesen, aber nicht aus Kanton. Sie waren beide über einsachtzig groß und kräftig gebaut, wie die Leute aus dem nördlichen Teil Chinas. Die beiden Leibwächter bezogen ungefähr drei Meter von dem alten Mann entfernt Stellung und ließen ihn nicht mehr aus den Augen.
»Mein Gott, ich hasse dich«, sagte Emily zu Jenny und wandte sich dann Chan zu. »Sie wird immer hübscher. Ärgert es Sie nicht, daß diese frühere Miss Hongkong Ihre Schwester ist?«
»Ich glaube, ihr zwei kennt euch schon«, sagte Jenny.
»Doch, schon mein ganzes Leben lang«, antwortete Chan auf Emilys Frage.
»Das ist Mr. Xian, ein sehr enger Geschäftsfreund aus der Volksrepublik China«, sagte Emily.
Dann sagte sie zu dem alten Mann etwas auf Mandarin. Chan verstand ein oder zwei Worte, die den
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