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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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seines Stuhls.
    »Welche Version soll ich Ihnen erzählen, die kurze oder die lange?« fragte Delaney. »Das, was ich zu sagen habe, liegt ohnehin auf der Hand, stimmt’s?«
    Riley sah Chan an. Chan ging nicht auf seinen Blick ein und nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette. Aston wirkte verlegen.
    »Vielleicht wäre die kurze Version besser. Vielleicht aber auch die lange«, sagte Riley. »Was meinen Sie, Charlie?«
    Chan lächelte Riley an. »Das überlasse ich Ihnen, John.«
    Delaney sah, daß Riley zögerte. »Gut. Die kurze Version geht folgendermaßen: Offenbar hat sich Clare Coletti nach ihrer Festnahme wegen Drogenbesitzes von der Mafia entfremdet. Der Mann aus der mittleren Führungsebene, mit dem sie ein Verhältnis hatte, seit sie ein Teenager war, hat sie fallenlassen. Wir nehmen an, daß sie auch heroinsüchtig gewesen ist. Allerdings war sie gescheit; sie hat mit Hilfe der Mafia einen Abschluß an der New York University gemacht. Das haben wir nicht verstanden. Warum stecken die einen Haufen Geld in ihre Ausbildung und lassen sie dann fallen? Schließlich ist die Mafia auch nichts anderes als ein großes Unternehmen – man investiert in einen Menschen oder eine Maschine, und das muß sich irgendwann auszahlen, stimmt’s? Heute fragen wir uns, ob das eine Jahr, das Clare außerhalb der Mafia verbracht hat, vielleicht ein Trick war, unser Interesse von ihr abzulenken. Wir wissen, daß sie in dem Jahr begonnen hat, sich für China zu interessieren – nicht unbedingt, was man bei einem Mädchen aus der Bronx erwarten würde. Vor ungefähr zweieinhalb Jahren ist sie dann nach Hongkong geflogen. Im gleichen Flugzeug saßen auch zwei Mitglieder der New Yorker 14K.«
    Delaney holte zwei Blätter aus seinem Ordner und reichte sie Chan. Oben befand sich jeweils das Foto eines Chinesen. Darunter folgten Geburtsdatum und Sozialversicherungsnummer. Beide Männer waren ungefähr Mitte Dreißig. Chan las, daß es sich vermutlich um Finanzexperten handelte. Der Name des ersten lautete Yu Ningkun, der des zweiten Mao Zingfu. Bei beiden handelte es sich um Transkriptionen von Mandarin-Namen. Die Männer kamen vom Festland und sprachen Mandarin. Chan sah sich einen Bericht an, der offenbar aus einer Akte der New Yorker Polizei stammte. Die beiden standen im Verdacht, sich auf Geldwäsche und Drogengeschäfte spezialisiert zu haben. Keiner von ihnen hatte irgendwelche Vorstrafen in den Vereinigten Staaten. Weiter unten las er, daß sie in den späten siebziger Jahren aus Schanghai gekommen waren, vermutlich mit Hilfe der Triaden über die snake-head- Routevon Guangzou den Perlfluß hinunter. Chan gab Delaney die Unterlagen zurück.
    Delaney sagte: »Die Fingerabdrücke, die Sie uns geschickt haben – ich meine die, die Sie auf einem Plastiksäckchen mit Herpin gefunden haben –, die gehören den beiden.« Delaney hustete.
    »Tja, und dann hätte ich Ihnen noch was … äh … Heikles zu sagen.« Wieder hustete er. »Wie Sie vielleicht wissen, arbeiten wir bei der Mafia eng mit dem FBI zusammen. Und die haben mehr Mittel und Einfluß als wir. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das, was ich Ihnen sage, für sich behalten. Trotz des strengen Datenschutzes in Amerika ist es uns gelungen, über das FBI an zahnmedizinische Unterlagen von Yu und Mao heranzukommen. Ich habe Ihnen Kopien davon mitgebracht.«
    Aston blieb der Mund offenstehen. »Dann ist das FBI bei den Zahnärzten der beiden eingebrochen?«
    Aston wurde rot, als er den langen Blick sah, den Chan und Delaney wechselten. Riley spielte mit einem Dienstkugelschreiber herum.
    »Das war keine sonderlich diplomatische Frage, Richard.« Chan schien fast ein wenig amüsiert. Anders als Delaney.
    Riley sah von Chan zu Delaney. »Genau.«
    »Tut mir leid«, sagte Aston.
    Delaney nickte.
    »Wir erzählen niemandem was davon«, sagte Chan und klopfte Aston auf den Rücken. »Er ist ein guter Polizist, ein cleveres Kerlchen. Nur mit der Diplomatie hat er noch ein bißchen Probleme. Ganz anders als John übrigens.«
    Riley strahlte.
    Chan schenkte Aston ein breites Grinsen. »Haben Sie noch andere Fragen an Captain Delaney, Richard?«
    Aston kämpfte mit sich. »Nein, nein.« Dann winkte er ab. »Ich habe also wie üblich was nicht mitgekriegt, stimmt’s?«
    Chan grinste Delaney an. »Wir schicken die zahnmedizinischen Unterlagen gleich runter in die gerichtsmedizinische Abteilung. Es dauert wahrscheinlich nur eine halbe Stunde, bis wir vorläufige Ergebnisse bekommen.«

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