Die letzten Tage von Hongkong
Chinese gewesen wäre. Als Eurasier wußte man nie so recht, von welcher Rasse man sich lieber verarschen ließ.
»Man hat mir gesagt, daß ich alle Informationen bekommen würde.« Sturheit war die letzte Zuflucht der Geschlagenen.
Cuthbert breitete die Arme aus. »Genau deswegen habe ich Sie zum Mittagessen eingeladen. Fragen Sie alles, was Sie wollen. Ich verspreche Ihnen, ich werde mich bemühen, alle Ihre Fragen zu beantworten. Habe ich Ihnen nicht gerade den Inhalt eines halben Aktenordners mit geheimen Informationen gegeben?«
»Aber ohne jedes Risiko«, murmelte Chan und wandte den Blick ab. »Und ich würde sogar behaupten, daß Emily Ping mir das alles selbst erzählen würde, wenn ich sie frage. Wahrscheinlich haben Sie es mir genau deshalb gesagt.«
Am Abend schrieb Chan an seinem Schreibtisch im Mongkoker Polizeirevier auf einen Zettel: Was haben General Xian, Emily Ping, Moira Coletti, Mario Coletti und Clare Coletti gemein? Wurden sie alle in China erfunden? Weiß Cuthbert die Antwort?
Um einen klaren Kopf zu bekommen, ging er ins Lagerhaus und überprüfte die Kameras. Zu seiner Überraschung war ein Teil des Films belichtet. Jemand war in dem Lagerhaus gewesen und den Kameras so nahe gekommen, daß er den Infrarotstrahl ausgelöst hatte. Als er am nächsten Morgen den Techniker von der forensischen Abteilung anrief, erklärte dieser ihm, sie hätten sehr viel zu tun; die Entwicklung des Films würde ein paar Tage dauern.
NEUNUNDDREISSIG
In der U-Bahn zur Arsenal Street beobachtete Chan einen gweilo, der einen Anfall bekam. Trotz ausreichender Klimatisierung brach ihm plötzlich der Schweiß aus; er bekam ein rotes Gesicht, begann zu zittern. Seine erweiterten Pupillen verrieten wachsende Panik. Chan überlegte schon, ob er den guten Polizisten spielen und den Fremden aus dem Wagen begleiten solle, doch dann fand der weiße Mann mittleren Alters selbst die Kraft, sich an der nächsten Haltestelle aus der Masse dicht beieinander stehender Körper hinaus ins Freie zu drängen. Durch die Fenster sah Chan, daß er sich an eine Mauer lehnte und tief durchatmete. Wieder ein Westler, der es nicht schaffte, sich wie eine Sardine zu benehmen. Keiner der anderen anwesenden Chinesen merkte, daß hier beinahe ein Notfall eingetreten wäre; sie blieben weiterhin aufrecht stehen und kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten, wie gute Sardinen das auch sollen.
Im Polizeipräsidium wartete an der Pforte bereits eine Nachricht auf ihn: Er sollte sofort in Rileys Büro im vierten Stock kommen. Riley erhob sich, als Chan eintrat. Aston und ein großgewachsener Amerikaner um die Fünfzig taten es ihm gleich.
»Ah! Charlie.« Riley wandte sich strahlend dem Amerikaner zu.
»Das ist der beste Polizist in diesem Winkel der Erde.« Irgendwoher hatte er sich eine Zigarre und einen amerikanischen Akzent beschafft. »Charlie, darf ich Ihnen unseren Kollegen von der anderen Seite der Welt vorstellen, Captain Frank Delaney vom New York Police Department.«
Delaney stand auf und streckte ihm die Hand hin. Er war etwas über einsachtzig und wurde am Haaransatz schon ein wenig grau. Ein gutaussehender Mann. Chan fielen sofort die sanften braunen Augen auf, die Augen einer Frau, die ihn einen Moment länger fixierten, als es höflich war. Also doch die Augen eines Polizisten. Er trug auch die Uniform eines Polizisten, einen Anzug aus knitterfreier Kunstfaser. Darunter hatte er ein cremefarbenes Hemd ohne Krawatte an.
»Charlie, ich wollte gerade sagen, wie dankbar ich bin, daß Sie mich hier so kurzfristig empfangen haben …«
»Keine Ursache.« Riley wedelte mit seiner Zigarre herum. Chan wartete ab.
»Ich hab’ das Fax gesehen, das Inspector Aston abgeschickt hat und dachte mir, das einfachste ist es, gleich in den verdammten Flieger zu steigen. Ist vielleicht ein bißchen teuer, aber wenn ich die Sache hier in vierundzwanzig Stunden erledige, gewinne ich Zeit für wichtigere Dinge.« Delaney grinste. »Zum Beispiel für die World Series.«
Riley lachte laut. »Ich liebe die World Series. Ihr Amerikaner spielt einfach den besten Football der Welt.«
Aston wechselte einen Blick mit Chan, dann sahen beide Delaney an, der lächelte.
Riley sprach mit zwischen die Zähne geklemmter Zigarre. »Ich habe uns ein Konferenzzimmer im zweiten Stock gesichert, da könnten wir jetzt hin.« Er ging voran. Auf dem Messingschild an der Tür des Konferenzraumes stand »Interviewzimmer, Zugang nur für Senior
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