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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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hinausging.
    »Wahrscheinlich ist er in zwanzig Minuten wieder hier«, sagte Chan. »Vielleicht sollten wir uns eine andere Bar suchen.«
    Delaney stand auf und holte seine Brieftasche heraus.
    »Nein.« Chan schob Delaneys Hand weg. »Es wird ungefähr hundert Prozent billiger, wenn ich das mache.«
    »Hundert Prozent?«
    »Die kennen mich – zumindest die mamasan. «
    Er ging nach hinten, unterhielt sich einige Minuten lang mit einer Chinesin um die Fünfzig und gesellte sich wieder zu Delaney, der bereits auf der Straße wartete.
    »Ich war früher bei der Sitte. Eigentlich hab’ ich schon alles gemacht. Aber die Mordkommission – das ist was anderes. Manche Sachen sind einfach vorbestimmt. Haben Sie das auch festgestellt, Frank?«
    Der Amerikaner tastete mit einer schnellen Bewegung Chans Rücken ab. »Sie haben keine Wanze am Körper, oder?«
    »Nein.«
    »Sicher?«
    »In der Hitze? Ich hab’ ja nicht mal eine Unterhose an.«
    Der Amerikaner seufzte. »Gut, Charlie, Sie haben gewonnen. Sie können Mario zu mir sagen.«
    »Vielleicht sollten wir uns ein wirklich lautes Lokal suchen.«
    »Ja, wahrscheinlich schon«, sagte Coletti.
    Im New Makati spielte eine Mädchenband von den Philippinen. Hier wimmelte es nicht nur so von Mädchen zum Ansehen, sondern auch zum Mitnehmen. Junge Frauen, die einen Abend in der Woche frei hatten, um sich ein kleines Zusatzeinkommen zu beschaffen oder vielleicht sogar einen Mann zu finden, drängten sich lachend und plappernd in Zehnergruppen um das Musikpodium und musterten alle Neuankömmlinge mit ihren schwarzen Augen. Junge Männer aus dem Westen standen an der Theke und grinsten wie Fischer, die gerade reiche Fanggründe entdeckt haben. Paare, die sich vielleicht gerade erst kennengelernt hatten oder aber auch schon seit Jahrzehnten verheiratet waren, tranken, unterhielten oder stritten sich. Niemand schien Zeit zum Belauschen anderer zu haben. Chan bestellte zwei Gläser Lagerbier und brachte sie zu dem kleinen Brett, das an der Säule befestigt war, wo Coletti stand.
    »Das war ziemlich gut, Charlie. Aber ich hätte es Ihnen früher oder später sowieso gesagt.«
    »Natürlich.«
    Coletti lachte, zum erstenmal seit seiner Ankunft überzeugend.
    »Sie sind wirklich eine Marke, Charlie. Also gut, ich hätte es Ihnen nicht gesagt.«
    »Nein?«
    »Wie haben Sie das erraten? Hat Moira mich so genau beschrieben? Das sieht ihr nicht ähnlich.«
    »Nein, nein.«
    »Also war’s die berühmte chinesische Intuition – Charlie Chan schlägt wieder zu? Sie sind einfach ein As; Sie riechen’s, wenn jemand Sie anlügt, stimmt’s?«
    »Das kommt aus meiner Karatezeit. Wenn man eine Kampfsportart perfektioniert, wirft man allen überflüssigen geistigen Ballast ab, und die Fähigkeiten, die man hat, machen sich auch in allen anderen Lebensbereichen bemerkbar. Würden Sie es mir glauben, daß mein Meister eine Fliege kastrieren konnte, ohne ihre Flügel zu verletzen?«
    Delaney sah Chan an, der seinem Blick nicht auswich.
    »Ohne die Flügel zu verletzen? Na, das hätte ich gern gesehen.«
    Chan zündete sich eine Zigarette an, ohne Delaney eine anzubieten. »Ich habe am Flughafen nachgefragt. Sie haben Ihren eigenen Paß verwendet. In den letzten vierundzwanzig Stunden ist niemand namens Delaney in Hongkong eingereist. Dafür aber ein Mann namens Coletti.«
    Chan nahm einen Schluck von seinem Bier. Coletti sah sich in dem Raum um.
    »Wissen Sie was, Charlie, Sie sind der cleverste Bulle, der mir je über den Weg gelaufen ist. Bei der New Yorker Polizei haben alle schon vor Ewigkeiten aufgehört zu denken – vielleicht hat das mit der westlichen Dekadenz zu tun. Die Leute stellen einfach die wichtigen Fragen nicht mehr. Wenn man nicht über Geld oder Sex reden kann, schläft ein Gespräch ein.«
    Vier junge Männer von den Philippinen mit langen schwarzen Haaren, an den Oberschenkeln abgeschnittenen Jeans und Sonnenuntergängen auf den T-Shirts gingen auf die niedrige Bühne, nahmen Gitarren in die Hand und fingen an, »I just called to say I love you« zu spielen.
    Die philippinischen Mädchen neben der Bühne begannen sich im Takt der Musik zu bewegen.
    »Hey – die machen das wirklich perfekt.« Coletti sah aufrichtig beeindruckt aus. »Und dabei haben sie nicht mal vorher zwanzig Minuten lang ihre Gitarren gestimmt.«
    »Was ist wichtiger als Geld und Sex?« fragte Chan. »Gott? Drogen? Die Familie?«
    Coletti schob eine weitere Pille in den Mund und nahm einen großen Schluck

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