Die letzten Tage von Hongkong
aufzuhören, aber das hat nichts geholfen. Wahrscheinlich ist das das Alter. Tut mir leid, daß ich euch die Laune verderbe. Vielleicht hätte ich doch im Hotel bleiben sollen.«
Sie setzten sich an die Bar, die Augen ungefähr auf gleicher Höhe wie die Beckenknochen der Tänzerinnen, die sich mit gebeugten Knien und weit gespreizten Beinen auf unsichtbare Liebhaber setzten und zu einer alten Nummer von den Fine Young Cannibals mit den Fäusten in die Luft boxten. Chan beneidete sie um ihre Energie. Die meisten Mädchen kamen von den Philippinen oder aus Thailand, eine oder zwei waren Chinesinnen, drei stammten aus Vietnam. Alle paar Wochen machte das Sittendezernat eine Razzia in den Bars und schickte die Mädchen wieder zurück, die mit Touristenvisa gekommen und zu lange geblieben waren. Die Sitte leistete gute Arbeit in Wanchai, es gelang ihr, ein Gleichgewicht zwischen erlaubtem Vergnügen und einer ernsthaften Bedrohung der Gesundheit zu finden. Seit AIDS sich ausbreitete, betrachteten die Leute Wanchai und die Bars nüchterner.
»Kaufen Sie mir einen Drink?«
Eine Chinesin Ende Vierzig mit Minirock, Pullunder und hohen Stöckelschuhen hatte sich ihnen von hinten genähert. Chan hatte sie schon draußen auf der Straße neben der Tür warten sehen. Sie hatte die Wangen rot geschminkt und die Lippen bogenförmig nachgezogen.
»Na, ich weiß nicht so recht, Mutter.« Delaney sah Chan an.
»Kaufen wir der Lady einen Drink oder nicht?«
Chan sagte etwas auf Kantonesisch zu ihr und gab ihr zwanzig Dollar, damit sie sie in Ruhe ließ.
»Setzen wir uns in eine Nische«, sagte Chan.
Sie fanden eine leere Nische zwischen einem amerikanischen Soldaten, der auf jeder Seite ein Mädchen hatte, und einem Engländer, der sich ernsthaft mit einer jungen Vietnamesin unterhielt.
»England wird dir gefallen«, hörte Chan ihn sagen, »obwohl’s da viel Regen gibt.«
»Wegen? Was ist Wegen?«
»Wasser – vom Himmel.«
»Ach, in England viel Wegen?«
»Ja. Und es ist kalt.«
»Ich habe dich, macht mir nichts aus.«
»Ich werde dich retten«, sagte der Engländer.
Aston saß am äußersten Ende des Tisches, das Gesicht in Richtung Bühne gewandt.
Delaney lächelte Chan an. »Glauben Sie, daß wir uns heute abend vernünftig mit dem Inspector unterhalten können?«
Chan zuckte mit den Achseln. Es war schwer zu beurteilen, wo der Magnetismus begann. Die Mädchen hinter der Bar hatten Mühe, den Blick von dem blonden jungen Polizisten mit den tiefblauen Augen abzuwenden, und er tat nichts, um sie davon abzuhalten. Sein Kopf wippte im Rhythmus von U2 auf und ab.
Nach dem zweiten Bier ging Aston auf der Suche nach einer Toilette zum Ende der Theke. Chan beugte sich mit zuckenden Gesichtsmuskeln nach vorn.
»Darf ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen, Frank?«
Delaney sah ihn an. Sofort war diese Wachsamkeit wieder in seinem Blick. Er nahm einen Schluck von seinem Bier.
»Aber sicher, Charlie. Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Ich hoffe, Sie finden das, nach allem, was Sie heute für uns getan haben, nicht respektlos, aber ich werde einen Gedanken einfach nicht los.«
»Schießen Sie los.«
»Ist Ihr wirklicher Name Mario Coletti?«
Aston kehrte von der Toilette zurück.
»Na, wie ist’s? Kann man hier ohne Bedenken pinkeln?« fragte Delaney.
»Es ist ziemlich viel los. Und in einer der Kabinen ist grade was im Gange zwischen einem Freier und der mamasan. Aber doch, man kann ohne Bedenken pinkeln.«
Delaney nickte. Man sah, daß es ihm schwerfiel, auf die Beine zu kommen. Er wartete eine Weile, bis er sich gefangen hatte, dann bewegte er sich mit schleppenden Schritten den Gang zur Toilette hinunter. Chan sah, daß ein paar schlanke nackte Arme sich aus einer Nische nach ihm ausstreckten, während er vorbeiging.
»Fehlt ihm was?« fragte Aston.
»Ich glaube, er ist krank, Dick. Wissen Sie, im nachhinein betrachtet, finde ich, daß das doch keine so gute Idee von mir gewesen ist. Vielleicht sollten wir ihn nach dem Bier ins Hotel zurückschicken. Was meinen Sie?«
Aston nickte enttäuscht. »Dann sage ich also, daß ich … noch Dienst habe?«
»Genau. Ich sage das gleiche.«
»Sehr überzeugend ist das aber nicht. Schließlich haben Sie ihn eingeladen.«
Chan ärgerte sich über seine eigene Dummheit. »Stimmt. Gehen Sie zuerst, mir fällt dann schon was ein.«
Delaney und Chan sahen Aston nach, wie er, mit einem bedauernden Blick in Richtung der Mädchen,
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