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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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sich, warum man nicht so klug gewesen ist, einfach ins Bett zu gehen. Wenn ich bei Moira geblieben wäre, hätte ich mein Leben nicht vergeudet. Sie hat Ihnen gesagt, daß ich mit der Mafia zusammenarbeite, stimmt’s?«
    Jetzt sah Chan sich in dem Raum um. Eine kleine Gruppe von philippinischen Mädchen unterhielt sich schnatternd auf Tagalog, doch die meisten der etwa fünfzig Mädchen, die gleich neben dem Musikpodium gestanden hatten, waren jetzt mit nichtasiatischen Männern zusammen. Mittlerweile saßen auch ein paar andere nichtasiatische Frauen an der Theke. Sie schauten sich gierig um, ungeduldig, die nächste Phase des Abends einzuleiten.
    Chan fand es immer wieder interessant, wie wenige chinesische Männer solche Bars besuchten. Diejenigen, die es taten, tranken für gewöhnlich allein und starrten in ihr Bierglas. So wie er. Als er in jener Nacht mit Sandra ins Bett gegangen war, hatte sie gesagt, sie habe seine Unabhängigkeit, seine stolze Einsamkeit attraktiv gefunden. Ihr war nicht aufgefallen, daß er zwei Gläser Bier hatte trinken müssen, um die Rassenschranken und seine Schüchternheit zu überwinden. Auch an seinen besten Abenden hatte er maximal einen Annäherungsversuch an eine Nichtasiatin zustande gebracht. Wenn er abgewiesen wurde, ging er nach Hause und sah sich Kung-Fu-Videos an wie ein guter Chinese. Westliche Frauen machten ihm angst mit ihrer Promiskuität und ihrer Furchtlosigkeit. Am allermeisten jedoch mit ihrem Körper, auf den sich eine weltweite Werbeindustrie gründete. Nirgends konnte etwas gekauft oder verkauft werden, ohne daß zwei weibliche, nichtasiatische Brüste die Transaktion vorantrieben. Was sollte ein armer eurasischer Junge da tun, dessen Hormone seit der Pubertät auf westliche Titten fixiert waren?
    »Ich weiß nicht so genau«, sagte Chan. Das war eine wortwörtliche Übersetzung einer der beliebtesten chinesischen Phrasen. In der ganzen Volksrepublik China, von Tibet bis Schanghai, drückten sich die Menschen mit diesen magischen Worten um Fragen herum, die sie nicht beantworten wollten. Er fügte hinzu: »Sie hat etwas davon erwähnt.«
    Coletti nickte. »Das kann ich ihr nicht verdenken. Ich beginne erst jetzt, es so wie sie zu sehen. Italiener, zumindest die Armen, werden in dem Glauben erzogen, daß die Vereinigten Staaten ein potentiell feindlicher Lebensraum sind, in dem wir zusammenhalten müssen, um zu überleben. Geld zu nehmen, gehörte auch dazu, ja, aber in erster Linie war ich Teil eines Clans. Und der werde ich bleiben bis an mein Lebensende. Als Clare größer wurde, war es gar nicht so leicht, das während ihrer wöchentlichen Besuche vor ihr geheimzuhalten. Außerdem war sie fasziniert von der Mafia. Moira hat das nie verstanden. Ich schon. Das war sehr einfach. Clare ist in der South Bronx aufgewachsen, und zwar gleich beim Southern Boulevard, in einer Gegend also, die gewalttätiger war als die Viertel, in denen Moira oder ich groß geworden waren. Indianerrevier nennen die Bullen die Gegend. Wir haben es aufgegeben, dort Streife zu fahren. Alligatoren haben Schuppen, Schlangen Gift, Katzen Krallen und Hunde beißen – die Natur paßt sich an ihre Umgebung an. Was sollte ein kluges und attraktives blondes Mädel da machen? Die Jungen waren ziemlich brutal und die Straßen ein Dschungel. In der Bronx galten andere Gesetze als im Rest New Yorks. Das große Verbrechen ist dort das einzig wirklich Organisierte. Und Clare wollte vorankommen. Ich mache ihr deswegen immer noch keinen Vorwurf. Schuld bin ich. Ich hätte mehr aus meinem Leben machen können.«
    »Sie hatte lange Zeit ein Verhältnis mit einem Mafioso – das hat Moira erwähnt.«
    Chan war verblüfft, als er Coletti lachen hörte. »Alberto Gambucci, ja. Der ist klein, dick und hat eine Glatze. Und er hat noch nie im Leben eine Waffe angerührt. Der ist zuständig für die Geldwäsche. Als er Clare mit einer jungen Schwarzen im Bett überrascht hat, ist er zu mir gekommen und in Tränen ausgebrochen.«
    Coletti schüttelte amüsiert den Kopf.
    Chan zündete sich eine Zigarette an. »Ich weiß fast alles über das Leben Ihrer Tochter, aber nichts über ihren Tod. Zwei Angehörige der Triaden? In Hongkong?«
    »Ich hole uns noch was zu trinken.«
    Chan sah Coletti nach, wie er sich durch die Tanzenden zum Tresen vorschob. Er war noch immer attraktiv, ein Mann, der nie Angst vor einer Frau gehabt hatte. Dieses Selbstvertrauen war eine Trumpfkarte, auch noch mit Fünfzig.
    Coletti

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