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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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bewußt, daß Aston ihn noch immer anstarrte. Wenn die Jugend erst einmal von etwas fasziniert war, ließ sie nur selten locker. Es hatte keinen Zweck, wenn man ihr erklärte, daß die Exotik mit dem eigenen Unwissen und der Distanz zusammenhing. Früher oder später würde der chinesische Vorhang zerreißen, und der Glanz in Astons Augen würde verschwinden.
    »Also wird’s in ein paar Monaten ein hübsches Feuerwerk geben, wenn die 14K dann immer noch da ist?«
    »Wetten würde ich darauf nicht abschließen.« Aston hob die Augenbrauen. »Ich bin kein Experte, aber es gehen Gerüchte, daß sie eine Art labiles Gleichgewicht gefunden haben. Nun, heutzutage sind die Kommunisten keine richtigen Kommunisten mehr, und die 14K haben sich zu kultivierten Geschäftsleuten gemausert – vielleicht haben sie erkannt, daß es vernünftiger ist zusammenzuarbeiten.«
    »Wirklich?«
    »Das ist nur ein Gerücht. Aber in Hongkong sind Gerüchte im allgemeinen wahr.«
    Aston stand auf, als er sah, daß Chan sich erhob, und bereitete sich innerlich auf den bevorstehenden Kampf vor. Er hatte eine ganze Weile gebraucht, um zu akzeptieren, daß bestimmte Aktionen, die an weniger überfüllten Orten ganz einfach waren, hier in Hongkong eine besondere geistige Vorbereitung erforderten. Dazu gehörte auch das Verlassen des Polizeireviers. Hier wimmelte es Tag und Nacht von Beamten in Zivil und Uniform: Antitriadeneinheiten, Verkehrspolizisten, taktische Einheiten, Angehörige des Drogendezernats und natürlich Zivilpersonen, die sich in das Chaos mischten und, egal, ob tags oder nachts, in den unterschiedlichsten Stadien der Trunkenheit angeliefert oder entlassen wurden.

ZEHN
    Mongkok ist der am dichtesten besiedelte Ort der Erde. Wahrscheinlich, so dachte Chan, fanden die Menschen dort das, was Fledermäuse in den Höhlen des nördlichen Borneo suchten: niedrige Mieten, null Arbeitslosigkeit und Zuflucht vor Feinden. Neunzig Prozent der Bewohner von Mongkok waren entweder aus der Volksrepublik China geflohen oder hatten Eltern, die das getan hatten. Während der Kulturrevolution hatten Zehntausende von Menschen jede Woche das Weite gesucht; da war keine Zeit gewesen für Städteplanung. Die Einwohner waren schon froh, daß die Kanalisation noch funktionierte.
    Hier waren alle chinesischen Clans oder Stämme vertreten, von den Kashgar-Moslems im Westen bis zu den Chiu Chow aus Swatow im Süden, von den Mongolen im äußersten Norden bis zu den Schanghai-Chinesen von der Küste. Dazu kamen Seiks von der nordwestlichen Grenze, Gurkhas aus Nepal, Filipinos, Engländer, Amerikaner und Franzosen. Einzig und allein Japanern war Chan in Mongkok noch nie begegnet, denn dort gab es keinen Golfplatz.
    Viele der Häuser waren Schwarzbauten oder beherbergten illegale Geschäfte. Restaurants gediehen über Tierhandlungen; Autoreparaturwerkstätten hüllten chemische Reinigungen mit Abgasen ein; wohnzimmergroße Kleiderfabriken stellten Kopien von Markenkleidung her, die fast so gut waren wie die Originale; in Autogaragen arbeiteten Uhrmacher, die tausend Kopien jedes erdenklichen Zeitmessers innerhalb von achtundvierzig Stunden produzierten. In Apotheken konnte man verschreibungspflichtige Arzneien mit und ohne Rezept kaufen, und es gab keine Droge, die man nicht irgendwo hätte besorgen können. Chan und die anderen Beamten der Mordkommission waren sich insgeheim darüber einig, daß sie eine der angenehmeren Polizeitätigkeiten ausübten. Wie wollte man Drogenhandel, Schmuggelei oder jede Art von Fälscherei unterbinden, wenn die Liste der Verdächtigen praktisch alle Einwohner des Viertels umfaßte?
    Das Polizeirevier von Mongkok beherrschte das Gebiet Ecke Prince Edward und Nathan Road. Soweit Chan wußte, war Edward der jüngste Sohn der Queen, der sein Privatleben bis jetzt noch nicht in eine öffentliche Seifenoper verwandelt hatte; Chan hatte keine Ahnung, wofür Nathan stand, wahrscheinlich für einen wichtigen Weißen von weither. Die Begabung des weißen Mannes, die Länder, die er stahl, mit peinlichen Namen zu benennen, war gut dokumentiert: New York für das Land der Algonquin-Indianer, George Town für alle Gebiete, die nicht nach Victoria oder Albert hießen; Amerika für einen Italiener, der glaubte, in Indien gelandet zu sein. Ob Edward und Nathan wohl eine Ahnung davon hatten, daß jeden Tag und jede Nacht eine Million diebischer Asiaten über sie hinwegtrampelten? Und würde es ihnen etwas ausmachen, wenn sie es wüßten? Chan

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