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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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besser kann als die guten alten Staaten. Das hätte Detroit fast den Kragen gekostet. Hat ’ne Weile gedauert, bis die da so vernünftig waren zuzugeben, daß die Japaner bessere Autos bauen können als sie. Jetzt gibt’s japanische Qualitätskontrollen sogar bei General Motors.« Sie seufzte.
    »Aber ich rede zuviel. Das ist schon immer mein Problem gewesen. Aus dem Grund hab’ ich’s auch nie weiter als bis zum Sergeant gebracht. Aber Sie sind gut, wirklich gut. Sogar die Zahnbürste haben Sie mitgekriegt. Bei der hab’ ich besonders aufgepaßt.«
    Chan zündete sich mit zuckenden Gesichtsmuskeln eine Zigarette an.
    »Tja, da wir offenbar beide nicht im Dienst sind – haben Sie was dagegen?« Sie hielt die Scotchflasche hoch. »Es war ein langer Tag – und ’ne lange Nacht. Ich darf gar nicht dran denken, wieviel Uhr es in New York ist.«
    »Ungefähr zwölf Stunden früher, also zwei oder drei Uhr nachmittags. Gestern nachmittag. Machen Sie den Scotch ruhig auf.«
    »Gut.« Sie öffnete den Schraubverschluß. »Wow, gestern nachmittag. So funktioniert das also? Ich muß Ihnen schrecklich naiv vorkommen, aber ich bin noch nie weiter als bis nach Acapulco gekommen, um mich von Clares Vater scheiden zu lassen. Aber das wird Sie nicht interessieren. Wollen Sie auch einen Scotch?«
    Chan lehnte das Angebot ab und holte ein Bier aus dem Kühlschrank. »Trinken Sie lieber das dazu. Pur wird er nicht reichen.«
    »Danke. Sie wollen also Fingerabdrücke, stimmt’s? Clare ist tot, nehme ich an, sonst würden Sie sich nicht diese Mühe machen, oder? In dem Fax stand nichts davon, jedenfalls nicht auf der Seite, die mir die Leute vom sechsten Stock gegeben haben. Ich habe das Buch mitgebracht, das Clare bei mir die ganze Zeit gelesen hat – Die Reisen des Marco Polo. Wahrscheinlich sind sie und ich die einzigen, die’s je in die Hand genommen haben, abgesehen vielleicht vom Buchhändler. Wenn Sie Fingerabdrücke von mir nehmen, kriegen Sie auch die von ihr. Außerdem habe ich die Unterlagen über ihre Zähne mitgebracht.«
    »Tatsächlich?« Er bereute seine Begeisterung sofort.
    Moira verzog das Gesicht. »So schlimm also? Mann, tut ganz schön weh, sich vorzustellen, was passiert ist. Sagen Sie’s mir noch nicht, ich muß mich erst richtig besaufen.«
    Die Tränen liefen ihr herunter, als sie den Whisky trank, doch irgendwie gelang es ihr, ihre Gefühle aus ihrer Stimme herauszuhalten. »Machen Sie sich wegen mir keine Gedanken. Das ist bloß so ’ne Reaktion. In Amerika wird einem beigebracht, daß man alles herauslassen soll. Wirklich alles. Hier ist das anders, wenn man den Kung-Fu-Filmen glauben darf. Nur keine Schwäche zeigen, stimmt’s? Könnte was dran sein. Ich hab’ noch nie erlebt, daß Tränen was bringen, und ich hab’ schon ’ne Menge davon gesehen. Manhattan ist ein Dschungel. Ach ja, übrigens, wie soll ich überhaupt zu Ihnen sagen? Chief? Chief Inspector?«
    »Charlie. Das sagen alle.«
    »Charlie? Wie Charlie Chan?«
    »Das ist der britische Humor. Ich bin Polizist, da konnten sie einfach nicht widerstehen. Hören Sie, Mrs. Coletti, wir wissen nicht, ob wir überhaupt über ein und dieselbe Person sprechen. Sie haben ja nur ein Phantombild gesehen.«
    »Sagen Sie Moira zu mir. Tja, das rede ich mir auch schon die ganze Zeit ein. Aber was würden Sie denken, wenn Sie so ein Fax bekämen? Seit Clare verschwunden ist, habe ich mir alle Bilder geben lassen, die von Asien reingekommen sind. Mit Phantombildern habe ich inzwischen genug Erfahrung.«
    Sie holte einen Umschlag mit Fotos aus ihrem Geldgurt.
    »Das war sie mit sechzehn. Eigentlich hab’ ich’s nur zur Erinnerung dabei.«
    Chan sah ein schmalgesichtiges Mädchen mit einem purpurfarbenen Trainingsanzug, dem die dunkelblonden Haare in die Augen fielen, hohe Bäume im Hintergrund, Bäume, wie er sie nur von Fotos kannte. Sein Blick ruhte eine Weile auf ihrem Lächeln. Perfekte amerikanische Zahnarztarbeit.
    Moira nahm das Foto zurück und starrte es an. »Central Park, 1986.«
    »Hat sie gejoggt?«
    »Nein, sie ist Skateboard gefahren. Hier, das ist sie mit einundzwanzig. Der Uniabschluß an der NYU. Die Abkürzung steht für New York University. Sie hat einen BA in Soziologie.«
    Chan warf einen kurzen Blick auf die Scotchflasche. Er konnte nicht noch eine betrunkene Frau brauchen, auch wenn sie den Scotch bis auf einen kleinen, halb unterdrückten Rülpser gut vertrug. Blick und Hände waren ruhig. Er nahm das Foto in die Hand. Das

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