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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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frisches Affenhirn verkaufen wollte – ein weiteres illegales und wahrscheinlich auch wirkungsloses Mittel gegen Impotenz. Er fuhr mit dem Lift in den zehnten Stock hinauf.
    Nachdem er drei Schlösser aufgesperrt hatte, trat er in seine fünfundvierzig Quadratmeter große Wohnung. In der Küche hatten kaum ein Kühlschrank und ein Ofen mit zwei Kochplatten Platz. Das Wohnzimmer, in dem sich lediglich ein Fernseher und ein Sofa befanden, sah voll aus. Und im Schlafzimmer mußte er übers Bett klettern, um die andere Seite zu erreichen. Er war froh, daß er Angie nicht mitgenommen hatte. Wo hätte er sie unterbringen sollen? In Hongkong hatten nur die Reichen Platz für üppige Geliebte.
    Sein Sakko war völlig durchgeschwitzt. Er warf es übers Sofa, zog das Saranwrap-Hemd aus und die Hose, die an seinen Oberschenkeln klebte. Nackt sah er dem Mongkok-Dilemma ins Auge: Schmelzen oder erfrieren? Nur in den allerheißesten Nächten schaltete er die am Fenster angebrachte Klimaanlage an, die Geräusche von sich gab wie eine Dosenfabrik.
    Wie immer führte seine Erschöpfung, die er noch unten auf der Straße gespürt hatte, nicht sofort dazu, daß er einschlief. Er lag, nackt bis auf eine Zigarette, auf dem Bett, und seine Gedanken bewegten sich im Kreis. Er befand sich in einem Museum voller weißer Büsten von Frauen aus dem Westen – Sandra, Polly und besonders Angie. Sie wirbelten vor seinem inneren Auge herum und forderten eine Entscheidung, doch seine einzige Reaktion war Benommenheit. Dann klingelte es an der Tür. Er sprang hoch; seine Gesichtsmuskeln zuckten.
    Er zog Shorts an, tappte barfuß zur Tür. Verzerrt durch den verdreckten Spion sah die amerikanische Frau aus wie ein Dämon aus der Pekingoper. Ein riesiges Gesicht beugte sich gierig vor, Orang-Utan-Lippen kräuselten sich unter einer flachen Nase, Hände wie Klauen lagen auf dem Geldgurt. Er öffnete die Tür bei vorgelegter Kette.
    »Chief Inspector Chan?«
    Chan nickte.
    »Vielleicht könnten Sie mich reinlassen; ich hab’ ein paar wichtige Informationen für Sie.«
    Er erkannte den Akzent, den amerikanische Schauspieler annehmen, wenn sie in einem Film über die Bronx mitspielten: seltsam schleppend, als wollten sie jede Silbe auf mehr als eine Minute ausdehnen.
    »Informationen? Um diese Zeit?«
    »Es ist wichtig.«
    Chan starrte die Frau an.
    »Ich bin Clares Mutter.«
    »Clare?«
    Sie öffnete den Reißverschluß an ihrem Geldgurt und holte ein zerknittertes Stück Papier heraus, ein Fax mit dem Briefkopf der Royal Hong Kong Police, und hielt es ihm vor die Nase. Oben rechts standen die Worte »alle Anfragen an Insp. Aston, Mongkok CID«, und in der Mitte befand sich ein unscharfes Foto von Polly. Chans Jagdinstinkt erwachte, doch er unterdrückte ihn. Geduld war die einzige Tugend, die es sich zu kultivieren lohnte, darüber war er sich mit den Alten einig. Er schloß die Tür, löste die Kette und ließ die Frau herein.
    Sie streckte ihm die Hand hin. »Ich heiße Moira Coletti. Erfreut, Sie kennenzulernen. Tut mir leid, daß ich Sie noch so spät störe, aber mein Flugzeug ist erst heute nachmittag angekommen, und als ich im Revier angerufen habe, haben sie mir gesagt, daß Sie heute abend nicht da sind. Ich muß zugeben, daß ich denen ein Lügenmärchen erzählt habe, um an Ihre Privatadresse zu kommen. Ich habe sogar Ihren Schreibtisch mit dem Foto gesehen, auf dem Sie vom Gouverneur eine Auszeichnung für Tapferkeit bekommen. So war es nicht schwer für mich, Sie zu erkennen. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, daß Sie erst so spät kommen würden.«
    Chan deutete aufs Sofa und setzte sich selbst auf den Beistelltisch.
    Sie senkte den Blick. »Sie haben mich im Supermarkt beobachtet, stimmt’s?«
    »Eine kleine Flasche Scotch, eine Zahnbürste, Zahnpasta. Eigentlich hätte ich das melden müssen.«
    »Tja, mein Risiko.« Sie holte die Sachen aus ihrer Tasche, während sie sprach, und stellte sie auf den Boden. »Natürlich habe ich alles bezahlt, als Sie weg waren. Wissen Sie, ich kenne die Bullen. Nicht die chinesischen, aber Polizisten im allgemeinen, und es gibt nicht viele Beamte von der Mordkommission, die nach zwei Uhr morgens anfangen, Formulare wegen solcher Lappalien auszufüllen.« Sie schwieg eine Weile und sah ihm in die Augen. »Tut mir leid, aber ich wollte nur rausfinden, wie gut Sie sind. Das hat wahrscheinlich mit amerikanischer Arroganz zu tun, wir wollen einfach nicht glauben, daß irgendeine Nation etwas

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