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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Chauvinismus, zwei Worte, die sie häufig verwendete. Er schüttelte den Kopf; es war noch schlimmer. Er hatte ein Stück des Westens geheiratet, und ihre Nähe hatte Verachtung zur Folge.
    Er blieb weiterhin ein mustergültiger Ehemann, wußte aber, daß sie vor der tiefen Desillusionierung geflohen war, die sie jedesmal, wenn er sie anschaute, in seinem Gesicht sah. Wenn sie doch nur in der Lage gewesen wäre, von der europäischen Protzerei zu lassen; aber was blieb ohne ihre geborgten Ansichten und ihren energiegeladenen Haß noch von ihr übrig? Der Gedanke, sich nicht von all den ums Überleben kämpfenden Hausfrauen auf den Straßen von Mongkok zu unterscheiden, war unerträglich für sie. Wenn sie redete und ihm später Briefe schrieb, wurde klar: Das letzte, was sie sich von einer Ehe mit einem Chinesen erwartet hatte, war die Tatsache, daß er nicht in der Lage sein würde, sie zu achten – ganz, als bliebe Verachtung schließlich doch ein Vorrecht der britischen Kolonialherren. Nun, Moira schien ganz anders zu sein, aber Vorsicht war geboten.
    Vielleicht war er ein wenig eingedöst, vielleicht hatte er auch zu intensiv nachgedacht; jedenfalls hörte er sie nicht hereinkommen. Als sie ihm die Hände auf die Augen legte, zuckte er zusammen.
    »Du bist nervös.«
    Abgesehen von den flackernden Bildern des Fernsehers und den ewigen Lichtern von Mongkok, die von draußen durch die Vorhänge drangen, war es dunkel im Zimmer; Moira war nicht mehr als eine Stimme und eine sanfte Berührung. Als er nach hinten griff, spürte er seinen Morgenmantel aus Rohseide. Und darunter die Brüste, die ihn fast um den Schlaf gebracht hätten.
    »Das sind meine irischen Gene.«
    »Die Iren sind kein besonders nervöses Volk. Die halbe New Yorker Polizei besteht aus Iren, ich übrigens auch. Mein Mädchenname war Kelly. Die Iren sind ungefähr so sensibel wie ein Sack Kartoffeln.«
    »Ich würde wetten, daß die Mordkommission nervös ist.«
    Sie setzte sich neben ihn. »Hast du schon mal dran gedacht, den Beruf zu wechseln?«
    »Klar. Ich habe tolle Alternativen: Sicherheitsbeamter bei der Bank oder Berater für die Triaden. Ich würde einen tollen Killer abgeben, wenn ich keine Probleme mit dem Magen hätte.«
    »Du hast Magenprobleme?«
    »Ja, mir wird’s immer schlecht, wenn ich eigentlich Mumm haben sollte.«
    Sie kuschelte sich an ihn. »Das glaube ich dir nicht. Ich hab’ das Foto gesehen, auf dem du gerade eine Auszeichnung für Tapferkeit bekommst.«
    »Da war ich noch sehr jung. Ich habe lediglich reagiert. Vielleicht hatte ich auch nur die Wahl zwischen zwei Ängsten, und die Angst, daß sie mich einen Feigling nennen könnten, war stärker.«
    »Aber du hast ein Leben gerettet.«
    »Vielleicht.«
    Sie streichelte seinen Oberschenkel und wanderte dann mit den Fingern bis zu seinem Hals hinauf. Sie strich über seine Gesichtsmuskeln und verharrte auf denen, die zuckten.
    »Weißt du, im Westen, da, wo ich herkomme, glauben wir, daß es hilft, wenn man drüber redet.«
    Er beugte sich vor und zündete sich eine Zigarette an. »Vielleicht, weil ihr im Westen mit Problemen umgeht wie mit Dornen. Man findet sie, reißt sie aus und lebt dann glücklich bis in alle Ewigkeit.«
    »Und im Osten?«
    »Die Chinesen nennen das ›im bitteren Meer leben‹. Nicht eine einzelne Dorne tut weh, sondern die ganze Umgebung.«
    »In Hongkong, der reichsten Stadt der Welt?«
    »In China. Hongkong ist nur Weihnachtsflitter. Und Weihnachten ist bald vorbei.«
    Moira brummte etwas. »Wegen der Politik sollte man sich keine schlaflosen Nächte machen. Dafür bezahlen wir die Politiker. War’s eine Frau?«
    Er stützte den Kopf auf den Rücken des Sofas. »Ja, eine Frau.«
    »Hör zu, ich gehe morgen wieder. Wir brauchen uns nie mehr wiederzusehen. Ich kann einfach nur eine Stimme in der Nacht bleiben. Du hast mir geholfen, mehr, als du ahnst. Warum läßt du nicht zu, daß ich dir auch helfe?«
    Er lächelte in die Dunkelheit hinein. »Sie war durch und durch Chinesin – allerdings nicht undurchschaubar. Sie hatte ein großes Mondgesicht und Augen, die dich geradewegs in die reinste Seele führten, die man sich vorstellen konnte. Diese Augen haben alles geglaubt, was man sagte, weil sie selbst nicht lügen konnte.
    Sie war klein und rund, ungefähr einssechzig groß, und egal, wie hart das Leben war, sie hat immer dafür gesorgt, daß gekochter Reis und Schweinefleisch oder Ente da war für die Kinder. Sie hat in ihrem Leben nur einmal

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