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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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brauchen wir uns nicht einmal über den Druckausgleich Gedanken machen.«
    »Genau. Man taucht ganz langsam wieder auf und wartet in bestimmten Abständen eine gewisse Zeit. Wahrscheinlich reichen zwanzig Minuten Warten in ungefähr viereinhalb Metern Tiefe aus. Hören Sie, ich würde gerne mit Ihren Leuten runtergehen – Sie haben ja sicher eine Ersatz-Taucherausrüstung, die ist Vorschrift.«
    »Sie wollen mit runter?«
    Higgins musterte Chan, seine Zigarette, das nervöse Zucken in seinem Gesicht. »Ich bin mir nicht so sicher …«
    »Ich habe die Taucherprüfung gemacht. Es ist mein Hobby. Schauen Sie.«
    Chan holte seinen Tauchschein aus der Brieftasche. Higgins warf einen Blick darauf.
    »Verstehe. Haben Sie einen besondern Grund, warum Sie da runter wollen? Wissen Sie, meine Leute verstehen ihr Handwerk.«
    Es ist mein Fall, hätte Chan beinahe gesagt. Dann besann er sich auf die Art und Weise, wie Engländer miteinander umgingen.
    »Ach, ich hab’ mir nur gedacht, so könnte ich zu ’ner Gratistauchstunde kommen. Ich bin diesen Monat überhaupt nicht aus Mongkok rausgekommen und hab’ an keinem der Wochenenden tauchen können. Und das bei dieser verdammten Hitze.«
    »Ah!« Zum erstenmal lächelte Higgins. »Was für ein toller Gedanke! Wissen Sie, ich würde selber mit runtergehen, wenn ich nicht solche Angst hätte.« Er lachte. Chan erwiderte sein Lachen. Das mußte man, wenn man sich an die englischen Regeln hielt.
    Das Boot hatte sich während ihrer Unterhaltung bereits vom Pier gelöst und fuhr nun aus dem Hafen. Chan ging zur Reling am Bug und schaute durch die dunklen Gläser seiner Sonnenbrille hinaus auf den grünen Archipel, der sie umgab. Manche Leute sagten, er sehe aus wie ein tropisches Schottland, weil die sanften Hänge in der smaragdfarbenen See verschwanden. Die winkelförmigen Segel von Sampans und anderen kleinen Booten tauchten über hellen Felsen oder in schattigen Buchten auf. Fischerdörfer, die älter waren als Großbritannien, kauerten sich vor der Sonne zusammen, einem blendend weißen Loch in einem azurblauen Himmel.
    Sie hatten sich für dieses Boot entschieden, weil es das schnellste verfügbare war. Der Kapitän beschleunigte auf etwa zwanzig Knoten.
    Higgins trat neben Chan. »Der Wind tut gut, was?«
    Die Brise stellte dem Engländer das dünne, strohige Haar auf, und darunter kam eine pinkfarbene, kahle Stelle zum Vorschein. Higgins hatte sich Nase und Haaransatz mit weißer Zinksalbe eingerieben. Chan mußte an die Clownsfigur in der Pekingoper denken.
    Chan knöpfte sein Hemd fast ganz auf und ließ den Wind zwischen Baumwollstoff und Haut hindurchblasen. Er gab nie zu, wie groß seine Schuldgefühle waren, weil er rauchte. Frische Luft auf der Brust vermittelte die Illusion, die Lungen würden gereinigt. Er atmete tief durch, ließ die Luft langsam wieder heraus und unterdrückte ein Husten, als Higgins ihn ansah.
    Die Crew auf der Brücke lachte. Chan hob den Blick und lächelte einen stämmigen kantonesischen Polizisten mit langen blauen Shorts und nackten Füßen an.
    Er war aufgeregt wegen seines Tauchabenteuers; es würde ein langer Tag werden. Chan fragte sich, was Moira gerade tat. Es mußte schon alles sehr gut laufen, wenn er zum Abendessen wieder daheim wäre, auch wenn er versprochen hatte, es zu versuchen. Wie sah sie bei Tageslicht aus? Lag die Bronx in der Nähe des Meeres? Konnten Männer seines Alters Frauen ihres Alters lieben? Auch wenn sie logen, schwindelten, soffen? Was machte das alles schon? Sie wäre ohnehin in zwei Tagen wieder weg. Zumindest hatten sie darüber gesprochen.
    Der Wind wehte sie weg.
    Chan wandte sich wieder Higgins zu. »Gutes Boot – wir fahren sicher zwanzig Knoten, oder?«
    Der Engländer nickte kurz und forsch. »Vielleicht sogar schneller. Das Boot hat eine Höchstgeschwindigkeit von achtundzwanzig Knoten, aber das Benzin taugt immer weniger. Wir haben ein ganz schönes Stück Weg vor uns. Die snake-heads schaffen die Strecke in ungefähr zwei Stunden – ich meine, den ganzen Weg bis nach China.«
    »Wird hier immer noch so viel geschmuggelt?«
    »Allerdings. Nach Einbruch der Dunkelheit geht’s hier zu wie auf dem Santa Monica Freeway. Es ist der letzte Schrei, den Rumpf des Schiffes um den Wagen Ihrer Wahl zu bauen – besser gesagt, um den Wagen, den der Kunde sich wünscht. Das Fiberglas wird um ein besonderes Modellauto herum geformt, so daß es genau paßt und sich nicht verschiebt, wenn das Boot hohe

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