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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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es im Meer gelegen hat, von Tauchern hochgeholt worden ist und der Strahlung ausgesetzt war?«
    »Ich habe wirklich keine Ahnung«, mußte Chan zugeben. »Aber wie die Briten sagen: Man kann nie wissen. Haben Sie’s schon mit dem Gold versucht? Die meisten Menschen fassen gern Gold an.«
    »Noch nicht. Ich hatte gehofft, daß es Ihnen leichter fallen würde, den Puder aufzutragen, als mir.«
    Chan holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, doch als ihm die strengen Vorschriften einfielen, steckte er sie wieder ein.
    Dann versuchte er sich noch einmal mit den Stahlgreifern. Das Geheimnis bestand darin, genau den richtigen Druck auszuüben. Da sich keine Nervenenden in den Instrumenten befanden, blieb nichts anderes übrig, als es immer wieder zu probieren. Als Chan den Dreh heraushatte, fiel es ihm sehr viel leichter, die schimmernde Oberfläche des Goldbarrens mit Puder zu bedecken, als die unregelmäßigeren Oberflächen der Waffen. Allmählich kristallisierte sich heraus, daß sich auf dem Gold keine Fingerabdrücke befanden.
    »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie’s weiter versuchen.«
    »Und wenn’s überhaupt keine Fingerabdrücke gibt?«
    Chan schwieg einen Augenblick. »Auch das könnte von Bedeutung sein.« Vivian hob die Augenbrauen. »Wenn es keine Fingerabdrücke und keine Hinweise darauf gibt, daß irgend jemand außer den Tauchern die Sachen in der Hand hatte, ist das ein negativer Hinweis.«
    Es war gar nicht so leicht, unter dem ruhigen Blick dieser Chinesin nicht verlegen zu werden.
    »Ein negativer Hinweis? Gehe ich recht in der Annahme, daß das Fachchinesisch ist und bedeutet, daß jemand alle Spuren abgewischt hat?«
    »Na schön, ich mach’s selber, wenn Sie es für Zeitverschwendung halten.«
    Vivian winkte ab. »Nein, nein, bitte. Es macht mir nichts aus. Irgendwie ist es ja interessant. Wie ein naturwissenschaftlicher Versuch. Die meiste Zeit konstruiert man Beweise dafür, daß man sich täuscht. Aber natürlich hoffe ich, daß Sie sich nicht täuschen.«
    »Der Fall ist mir ein Rätsel. Wenn dieses Beweisstück sorgfältig abgewischt wäre, würde es uns zumindest helfen, etwas über die Art des Rätsels zu erfahren.«
    Wieder starrte Vivian ihn an, ein Blick, der sein Ego auf den Prüfstand stellte.
    »Möchten Sie rausgehen? Da können Sie rauchen. Ich hab’ während meiner Studienzeit mal im Labor gejobbt. Da ging’s um die Wirkung von Nikotin auf Ratten, um Entzugserscheinungen und so weiter. Sie zeigen alle Symptome.«
    »Durch Ihre Arbeit mit Ratten haben Sie sicher eine Menge über die Menschen rausgefunden.«
    Draußen überquerten sie einen offenen Platz in Richtung Mensa. Bei einem Styroporbecher Kaffee und einer Zigarette beobachtete Chan die Jugend von Hongkong. Es gab ein paar Ausländer, Amerikaner und Europäer, hin und wieder einen Inder und eine ganze Menge Eurasier; den größten Teil machten allerdings einheimische Chinesen aus. Chan fragte sich, wie sie sich fühlten – junge Leute, die unter einem der aggressivsten kapitalistischen Systeme der Welt aufwuchsen und schon in zwei Monaten unter neuen Herren ein neues System lernen müßten. Wahrscheinlich fühlten sie sich genau wie er: verraten und verängstigt.
    »Was sagen die jungen Leute zum Juni?«
    Vivian betrachtete die jungen Gesichter in der Mensa. »Daß sie sich anpassen müssen. Sie sind vor allen Dingen froh darüber, endlich das Stigma der Kolonialherrschaft loszuwerden, aber sie wissen auch, daß es nicht leicht werden wird. Ich glaube allerdings, daß ihnen nicht klar ist, wie schwer es sein wird.«
    »Aber Ihnen ist es klar?«
    »Ich habe schon in den chinesischen Vierteln in Amerika erlebt, wie Korruption funktioniert, bevor ich hierher zurückgekommen bin. Ich kann mir vorstellen, wie es jenseits der Grenze zugeht. Niemand erwartet ernsthaft, daß es nach dem 30. Juni hier anders sein wird.«
    »Die Leute sehen so unschuldig aus.«
    »Das sind sie auch. Verglichen mit den jungen Leuten in den Staaten sind sie naiv; sie sind nur darauf aus, ihren Geist zu kultivieren, gute Söhne und Töchter zu sein und selbst ihre Kinder nach der hiesigen Tradition zu erziehen. Sie trinken und rauchen kaum, mit Drogenproblemen haben hauptsächlich andere Nationalitäten zu kämpfen, und sie passen auf beim Sex. Ich habe als gute Chinesin eine Forschungsstelle in Berkeley aufgegeben, weil meine Eltern wollten, daß ich bei ihnen bin. Ich habe mich dafür geschämt, wie viele Laster ich mir in den Staaten

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