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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Chan.
    Lee zuckte mit den Achseln. »Welche? Computerreparaturen gibt’s immer – hier rufen jeden Tag hundert Anfänger an, die Panik kriegen, weil sie plötzlich nicht mehr an ihr Meisterwerk rankommen oder weil sie sich nicht ins Internet einloggen können. Ich habe jetzt überall in der Stadt Leute. Wir lassen uns stundenweise bezahlen. Das ist die legale Seite. Über die andere erzähle ich Ihnen lieber nichts. Illegale Kopien verkaufen sich allerdings immer noch wie die warmen Semmeln.«
    »Ich brauche Ihre Hilfe.«
    »Ist das was Neues? Was steht jetzt ins Haus nach den Fleischwolfmorden?«
    »Ich bin immer noch mit dem Fleischwolf beschäftigt.«
    Lee spuckte auf den Boden. »Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, darüber redet niemand. Alle sind irritiert. Es sieht nach Triaden aus, es riecht nach Triaden, aber wenn’s die Triaden wären, würde sich jetzt schon jemand damit brüsten. Die Handlanger schaffen’s nie, den Mund zu halten. Es sei denn natürlich, sie machen sich vor Angst in die Hose.«
    »Ich habe eine ganze Menge Geld zur Verfügung – eine Million, vielleicht mehr.«
    Lee nickte bedächtig. »Also geht’s doch um was Besonderes. Ich hab’ recht gehabt.«
    »Ja, der Fall hat eine besondere Dimension, aber über die reden wir nicht.«
    »Eine besondere Dimension? Wer zahlt die Million, die Regierung oder ein Privatmann?«
    »Die Regierung.«
    »Aha, dann geht’s also um China. Nur bei China werden die so aufgeregt.«
    »Vielleicht.«
    »Haben Sie irgendwas Neues rausgefunden?«
    »Wir haben Drogen in einer Lampe über dem Bottich entdeckt. Unverschnittenes Heroin.«
    Lee hob die Augenbrauen. »Unverschnitten?«
    »Ja, fast hundert Prozent rein.«
    »Also Exportqualität. Das kriegt man nicht auf der Straße, nicht mal für Bargeld. Die wollen nämlich die Handelsspanne für New York oder Amsterdam mitnehmen. Ziemlich merkwürdig, und da stellen sich mir noch ganz andere Fragen.«
    Beim Gehen sagte Chan: »Ich würde mich freuen, wenn Sie die Million kriegen. Aber es gibt noch andere Bewerber.«
    Lee zuckte mit den Achseln. »Geld wen interessiert das schon? Ich will denen wehtun , das ist mir wichtiger.« Seine Augen funkelten hysterisch. Chan hastete zur Tür, weil er nicht hören wollte, was immer als nächstes kam. Doch zu spät: Lee hatte Chan schon am Arm gepackt. Lee war noch kräftiger, als er aussah. Chan hätte sich nicht aus seinem stählernen Griff lösen können, jedenfalls nicht, ohne Lee einen Kinnhaken zu verpassen, und dagegen hätte dieser sich zu wehren gewußt. Chan wandte das Gesicht ab, als Lee zischte:
    »Einen Mann umbringen – das ist die eine Sache, ihn zum Krüppel machen, ist auch eine Sache, aber ihn dazu zwingen, daß er im Spiegel zuschaut, wie man ihm die Wirbelsäule durchtrennt, das ist die andere. Verstehen Sie, Chief? Man zwingt ihn, dabei zuzusehen!«
    Chan blieb schwitzend draußen auf der Straße stehen. Die meisten Informanten verlangten Geld, aber Lee wollte mehr. Er nahm das Recht für sich in Anspruch, einem auf die Nerven zu gehen, einem seinen eigenen Schmerz aufzuladen und seinen Haß. Nein, ich verstehe nicht.
    Es war noch früh am Abend. Er schob sich auf dem Weg zu seiner Wohnung durch die Menschenmassen und betrachtete dabei die Gesichter der Leute. Hier in Mongkok konnte man dabei vieles entdecken, nur keine Ehrlichkeit. So war es fast eine Erleichterung, den nächsten Morgen zusammen mit einem tödlichen radioaktiven Isotop in der Universität verbringen zu dürfen.

NEUNUNDZWANZIG
    Auf dem Gelände der Universität von Hongkong in Pok Fu Lam befinden sich einige der besten Zeugnisse kolonialer Architektur in dieser Gegend. Neoromanische Bögen locken in Kreuzgänge und Höfe, in die die Sonne kaum jemals dringt, und ein Uhrenturm, wie das prädigitale Europa ihn so sehr liebte, zeigt die Zeit an. Die Quartiere der Professoren haben hohe Decken und riesige Räume, wie sie in der Welt des Kommerz für gewöhnlich den Topmanagern vorbehalten sind. Die niedrigeren modernen Flügel, die im Zeitalter der Klimaanlage angebaut wurden, sind so weit wie möglich hinter den ursprünglichen Gebäuden verborgen.
    Chan hielt sich gern auf dem Universitätsgelände auf. In einer anderen Zeit und mit ein bißchen Glück hätte er vielleicht seine natürliche Neugierde zu erbaulicheren Zwecken einsetzen können als zur Aufklärung eines schmutzigen Mordes an drei Menschen in Mongkok. Mit diesen Gedanken ging er, die frühmorgendliche Sonne im Rücken,

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