Die letzten Tage von Pompeji
ihn, der Alles für sie war; – was Wunder, daß in ihrer wilden und leidenschaftlichen Seele alle Elemente unharmonisch erklangen, daß, wenn Liebe über das Ganze herrschte, es nicht diejenige Liebe war, die heiligeren und sanfteren Regungen ihr Entstehen verdankt! Bisweilen fürchtete sie nur, daß Glaukus ihr Geheimnis entdecken möchte, bisweilen aber fühlte sie sich entrüstet, daß er es nicht ahne; war dies doch ein Zeichen der Verachtung – konnte er sich denn auch denken, daß sie eine so große Anmaßung besitze? Ihre Gefühle für Ione ebbten und fluteten in jeder Stunde; jetzt liebte sie die Griechin, weil er sie liebte; jetzt haßte sie dieselbe aus der gleichen Ursache. Es gab Augenblicke, wo sie ihre arglose Gebieterin hätte ermorden können, Augenblicke, wo sie ihr Leben für die hingegeben hätte. Diese wilden und gewaltsamen Wechsel der Leidenschaft waren zu stark, um in die Länge ertragen zu werden. Ihre Gesundheit begann, obgleich sie es nicht fühlte, ihre Wange erblaßte, ihr Schritt wurde schwächer, Thränen traten ihr häufiger in die Augen und brachten ihr nur geringere Erleichterung.
Eines Morgens, als sie sich zu ihrem gewöhnlichen Geschäfte in den Garten des Atheners begab, traf sie Glaukus mit einem Kaufmann aus der Stadt unter den Säulen des Peristyls damit beschäftigt, Juwelen für seine Braut auszulesen. Schon hatte er für Ionen ein Zimmer eingerichtet, und die Juwelen, die er heute kaufte, wurden auch dorthin gebracht. Ach, nie sollten sie die schöne Gestalt Ione's schmücken und noch heutzutage kann man sie unter den ausgegrabenen Schätzen zu Pompeji im Museum zu Neapel sehen. [Fußnote: Mehre Armbänder, Ketten und Juwelen wurden in dem Hause gefunden. ]
»Komm hierher, Nydia; stelle Dein Gefäß nieder und komm hierher. Du mußt diese Kette von mir annehmen; halt, so, jetzt habe ich sie Dir angelegt. Sag einmal, Servilius, steht sie ihr nicht gut?«
»Ausgezeichnet,« antwortete der Juwelier – denn Juweliere waren selbst damals wohlerzogene Leute, die gerne schmeichelten. – »Aber wenn einmal diese Ringe in den Ohren der edlen Ione glänzen, dann beim Bacchus! sollst Du sehen, ob meine Kunst nicht die Schönheit zu erhöhen vermag!«
»Ione,« widerholte Nydia, die bisher durch Lächeln und Erröthen ihren Dank für die Gabe des Glaukus ausgedrückt hatte.
»Ja,« erwiderte der Athener, gleichgültig mit den Edelsteinen spielend, »ich suche da ein Geschenk für Ione, aber hier ist nichts, das ihrer würdig wäre.«
Während er sprach, wurde er durch ein plötzliches Auffahren Nydia's erschreckt; sie riß die Kette heftig von ihrem Hals und warf sie auf den Boden.
»Was soll das? Wie, Nydia, hast Du keine Freude an dem Tand? Bist Du beleidigt?«
»Du behandelst mich immer als eine Sklavin und als ein Kind,« antwortete die Thessalierin, während sich ihre Brust von schlecht unterdrückten Seufzern hob und hastig wandte sie sich nach der entgegengesetzten Seite des Gartens. Glaukus dachte nicht daran, ihr zu folgen oder sie zu beruhigen, er war ja beleidigt. Er fuhr fort, die Juwelen zu untersuchen und Bemerkungen über ihre Façon zu machen, Dies zu tadeln und Jenes zu loben und ließ sich endlich von dem Kaufmann überredeten, Alles zu kaufen; das sicherste Auskunftsmittel für einen Liebhaber und Jedem zu empfehlen, vorausgesetzt jedoch, daß er eine Ione erwerben kann!
Nachdem er den Handel ins Reine gebracht und den Juwelier entlassen hatte, begab er sich auf sein Zimmer, kleidete sich an, bestieg seinen Wagen und fuhr zu Ione. Er dachte nicht mehr an die junge Blinde oder ihre Ungezogenheit; er hatte die eine wie die andere vergessen.
Er verbrachte den Vormittag bei seiner schönen Neapolitanerin, begab sich sodann in die Bäder, speiste, wenn wir die um zwei Uhr stattfindende Cœna der Römer Nachtmahlzeit nennen dürfen, allein und außer dem Hause zu Nacht – denn Pompeji hatte auch damals seine Restaurants – und kehrte hierauf nach Hause zurück, um die Kleider zu wechseln, ehe er wieder in dem Hause Ione's erschien. Mit dem in Träumereien vertieften und abwesenden Auge eines Verliebten schritt er durch das Peristyl, ohne die Gestalt des armen blinden Mädchens zu beachten, das genau an derselben Stelle, wo er es verlassen hatte, saß. Wenn übrigens er sie nicht sah, so erkannte doch ihr Ohr sofort seinen Schritt; hatte sie doch die Minuten bis zu seiner Rückkehr gezählt. Kaum war er in sein Lieblingszimmer getreten, das sich gegen den
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