Die letzten Tage von Pompeji
betrachtete, durch eine unwiderstehliche Sympathie zu ihm hingezogen. Nie sah Jemand ohne Liebe auf dieses Gesicht; denn auf ihm hatte das Lächeln der Gottheit, der Menschwerdung göttlicher Liebe geruht und die Herrlichkeit jenes Lächelns war nie wieder verschwunden!
»Meine Kinder, Gott sei mit Euch,« sprach der Alte, seine Arme ausbreitend, während die Kindlein auf ihn zusprangen. Er setzte sich nieder und sie nisteten sich liebkosend in seinen Schooß. Ein herrlicher Anblick, diese Vereinigung der Extreme des Lebens – der aus seiner Quelle sprudelnde Bach und der majestätische, dem Ocean der Ewigkeit zueilende Strom. Wie das Licht des scheidenden Tages Erde und Himmel zu vereinigen scheint, indem es die Umrisse beider kaum sichtbar macht und die rauhen Bergspitzen mit dem Himmel verschmilzt, so schien auch das Lächeln dieses liebreichen alten Mannes die äußere Erscheinung derer, die ihn umgaben, zu heiligen, die scharfen Unterscheidungen der verschiedenen Jahre zu verschmelzen und über Kindheit und Mannesalter das Licht des Himmels auszugießen, in welchem es so bald verschwinden und sich verlieren sollte.
»Vater,« sagte Olinth, »Du, an dessen Leib das Wunder unsers Erlösers wirkte, Du, der dem Grabe entrissen wurde, um ein lebendiger Zeuge seiner Gnade und seiner Macht zu werden, siehe einen Fremdling in unserer Versammlung – ein neues Lamm, das in die Hände geführt wurde!«
»Laßt mich ihn segnen,« sprach der Greis und Alle machten ihm Platz. Apäcides näherte sich instinktmäßig und fiel vor ihm auf die Kniee; der Greis legte seine Hand auf des Priesters Haupt und segnete ihn, aber mit leiser Stimme. Während seine Lippen sich bewegten, waren seine Augen gen Himmel gewandt und Thränen – wie sie gute Menschen nur in der Hoffnung auf das Glück Anderer vergießen – flossen ihm reichlich über die Wangen.
Die Kleinen hielten sich zu beiden Seiten des Neubekehrten, sein Herz war wie das ihrige – er war geworden wie eines von ihnen, um in das Himmelreich zu kommen.
Viertes Kapitel.
Der Strom der Liebe fließt dahin – Wohin?
Tage sind wie Jahre in der Liebe der jungen Leute, wenn keine Schranke, kein Hindernis zwischen ihrem Herzen sich erhebt – wenn die Sonne scheint und der Strom sanft dahinfließt – wenn ihre Liebe glücklich und geoffenbart ist. Ione verhehlte dem Glaukus nicht länger die Zuneigung, die sie für ihn hegte, und ihr einziges Gespräch hinfort war ihre Liebe. Über der Entzückung der Gegenwart glühten die Hoffnungen der Zukunft, wie der Himmel über den Gärten des Frühlings. In ihren zutrauensvollen Gedanken schifften sie weit auf dem Strome der Zeit hinab – entwarfen sich den Plan ihres künftigen Geschicks und ließen den Glanz des heutigen Tages auch auf den morgigen sich ergießen. In der Jugend ihrer Herzen schienen ihnen Sorge und Wechsel und Tod völlig unbekannte Dinge zu sein. Vielleicht liebten sie einander um so mehr, weil der Zustand der Welt dem Glaukus kein Ziel und keinen Wunsch übrig ließ, als Liebe; weil diejenigen Beschäftigungen, die in Freistaaten des Mannes Neigung gewöhnlich in Anspruch nehmen, für den Athener nicht vorhanden waren – weil sein Vaterland ihn nicht in das Gewühl des bürgerlichen Lebens berief, weil die Ehrfurcht kein Gegengewicht gegen die Liebe bot und deshalb letztere allein über alle Pläne unserer Liebenden herrschte. In dem eisernen Zeitalter lebend, glaubten sie sich im goldenen, nun dazu bestimmt, zu leben und zu lieben.
Dem oberflächlichen Beobachter, der sich nur für scharf markirte und mit dicken Farben aufgetragenen Charaktere interessirt, mögen die beiden Liebenden von zu leichter und zu gewöhnlicher Form erscheinen; denn der Leser glaubt bisweilen in der Zeichnung von Personen, die absichtlich nicht so scharf hervorgehoben sind, einen Mangel an Charakter zu erblicken, und vielleicht bin ich auch in der That dadurch ungerecht gegen die Natur dieser beiden Liebenden, daß sich ihre äußere Persönlichkeit nicht schärfer ans Licht stelle. Wenn ich jedoch so lange bei dem strahlenden und einem Vogel gleich in den Lüften sich bewegende Theile ihres innern Wesens verweile, werde ich hiezu fast unbewußt von der Ahnung der Veränderung bestimmt, die ihrer harrt und auf die sie so wenig vorbereitet sind. Gerade diese Milde und Heiterkeit des Lebens bildet den kräftigsten Gegensatz zu den Wechselfällen ihres künftigen Schicksals. Für die Eiche ohne Frucht oder Blüte, deren starker und
Weitere Kostenlose Bücher