Die letzten Tage von Pompeji
Jahrhunderte hindurch triumphirt, und was so lange die Probe der Zeit ausgehalten hat, das unterliegt selten der Neuerungssucht. Aber höre, mein junger Bruder, solche Redensarten sind sehr unpassend.«
»Dir wenigstens kommt es nicht zu, ihnen Stillschweigen zu gebieten,« antwortete Apäcides stolz.
»So hitzig – doch ich will nicht mit Dir streiten. – Hat Dich denn der Egypter nicht von der Nothwendigkeit überzeugt, daß wir in Eintracht zusammenleben müssen? Hat er Dich nicht überzeugt, wie weise es ist, wenn wir das Volk täuschen und unser Leben genießen? Wo nicht, mein Bruder, so ist er auch nicht der große Zauberer, für den er gilt.«
»Du hast also auch seinen Unterricht empfangen?« fragte Apäcides mit hohlem Lächeln.
»Ja, aber ich bedurfte dessen weniger als Du. Die Natur hat mich bereits mit der Liebe zum Vergnügen und mit der Sehnsucht nach Gewinn und Macht begabt. Lang ist der Weg, der den Genußsüchtigen zu einem strengen Leben führt, aber es ist nur ein Schritt von den Wonnen der Sünde zum Dach der Heuchelei. Fürchte die Rache der Göttin, wenn die Kürze dieses Schrittes entdeckt werden sollte!«
»Fürchte Du die Stunde, wo das Grab sich aufthut und die Fäulnis an den Tag kommt,« antwortete Apäcides feierlich. » Vale! «
Mit diesen Worten überließ er den Flamen seinen Betrachtungen. Einige Schritte vom Tempel entfernt, schaute er sich noch einmal um. Kalenus hatte sich bereits in das Eingangszimmer der Priester begeben, denn es nahte jetzt die Stunde der Mahlzeit, welche die Alten Prandium nannten, und die, hinsichtlich der Zeit, unserm Frühstück entspricht. Der weiße und anmuthige Tempel strahlte hell in der Sonne, auf den Altären vor ihm stieg der Weihrauch auf und blühten die Blumenkränze. Der junge Priester blickte lange und wehmüthig auf den Schauplatz – es war das letztemal, daß er ihn sah.
Dann wandte er sich und verfolgte langsam seinen Weg zu dem Hause Ione's; denn ehe vielleicht das letzte Band, das sie umschlang, zerschnitten wurde, ehe er sich in die ungewisse Gefahr des nächsten Tages begab, sehnte er sich, noch einmal seine einzige Verwandte, seine zärtlichste und froheste Freundin zu sehen. Er kam an ihrem Hause an und traf sie mit Nydia im Garten.
»Das ist gut von Dir, Apäcides,« rief Ione freudig, »oh, wie innig habe ich gewünscht, Dich zu sprechen – wie vielen Dank bin ich Dir schuldig! Wie unartig, daß Du keinen meiner Briefe beantwortet – daß Du Dich seither nicht bei mir eingefunden hast, den Ausdruck meines Dankes zu empfangen! Oh, Du halfst Deine Schwester vor Entehrung retten! Mit welchen Worten kann sie Dir danken, jetzt, da Du endlich gekommen bist!«
»Meine süße Ione, Du bist mir keinen Dank schuldig; denn Deine Sache war die meinige; vermeiden wir diesen Gegenstand, sprechen wir nicht mehr von jenem gottlosen, für uns Beide so verhaßtem Mann; bald vielleicht habe ich Gelegenheit, der Welt das Wesen seiner vorgeblichen Weisheit und heuchlerischer Strenge zu enthüllen. Aber laß uns niedersitzen, meine Schwester, ich bin ermüdet von der Sonnenhitze; setzen wir uns in jenen Schatten und seien wir einander für eine kleine Zeit noch einmal, was wir uns bis daher gewesen sind!«
Unter einer großen Platane, umgeben von Cistus Arbutus, den lebendigen Springbrunnen vor sich, der grünen Rasen unter ihren Füßen, auf dessen Gras da und dort die fröhliche, einst den Athenern so theure, Cikade umherhüpfte; der Schmetterling, ein schönes der Psyche gewidmetes Sinnbild der Seele, das auch christlichen Sängern so reichen Stoff lieferte – in all den glühenden, dem sicilianischen Himmel [Fußnote: In Sicilien findet man vielleicht die schönsten Schmetterlingsarten. ] entnommenen Farben – selbst einer geflügelten Blume gleich – auf den sonnigen Blumen schwebend – auf dieser Stätte und an diesem Schauplatze saßen Bruder und Schwester das letztemal auf Erden beisammen. Man kann dieselbe Stätte noch heute betreten, aber der Garten ist nicht mehr, die Säulen sind eingestürzt, der Springbrunnen hat aufgehört zu spielen. Möge der Reisende unter den Ruinen von Pompeji nach dem Hause Ione's forschen. Seine Überbleibsel sind noch immer sichtbar, aber dem Auge der Alltagsreisenden will ich sie nicht verrathen. Wer gefühlvoller ist, als die Heerde, wird sie leicht entdecken, und wenn ihm dies gelungen, möge er das Geheimnis für sich behalten.
Sie setzten sich, und Nydia, froh, allein zu sein, zog sich nach
Weitere Kostenlose Bücher