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Die letzten Tage von Pompeji

Die letzten Tage von Pompeji

Titel: Die letzten Tage von Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lytton Bulwer
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dem entgegengesetzten Ende des Gartens zurück.
    »Ione, meine Schwester,« begann der junge Neubekehrte; »lege Deine Hand auf meine Stirne und laß mich Deine kühle Berührung fühlen. Sprich auch mit mir, denn Deine sanfte Stimme ist wie ein zartes Lüftchen, das erfrischt und wohlthut. Sprich mit mir, aber segne mich ja nicht! Laß mich nicht eine Silbe von jenen Redeformen hören, die wir in unserer Kindheit als heilig zu betrachten gelehrt wurden!«
    »Ach, was soll ich denn sagen? Die Sprache der Liebe ist für uns mit der Sprache unserer Gottesverehrung so verwoben, daß die Worte frostig und gemein werden, wenn ich jede Anspielung auf unsere Götter daraus verbanne.«
    » Unsere Götter ,« murmelte Apäcides mit einem Schauder; »schon berücksichtigst Du meine Bitte nicht.«
    »Soll ich denn bloß von Isis zu Dir sprechen?«
    »Dem bösen Geist! Nein; lieber sei stumm auf ewig, Du könntest denn – doch weg, weg mit solchem Gespräch! Nicht jetzt wollen wir mit einander streiten, nicht jetzt hart über einander urtheilen, während Du mich vielleicht als einen Abtrünnigen betrachten würdest, und ich nur Schmerz und Scham über Dich als eine Götzendienerin fühlte! Nein, meine Schwester, laß uns solche Gegenstände und solche Gedanken vermeiden. In Deiner süßen Gegenwart kommt eine Ruhe über meinen Geist; für eine kleine Weile vergesse ich mich. Während ich so Deine Schläfe an meine Brust lege, wenn ich mich je von Deinem sanften Arm umschlungen fühle, da däucht mir, wir seien wieder Kinder und der Himmel lächle mit gleicher Heiterkeit auf uns Beide. Denn ach, wenn ich die bevorstehende strenge Probe – frage mich nicht weiter darüber – bestehen, und wenn es mir vergönnt sein sollte, über einen heiligen und hehren Gegenstand mit Dir zu sprechen, und wenn ich dann Dein Ohr verschlossen und Dein Herz verhärtet fände: welche Hoffnung für meine Zukunft könnte meine Verzweiflung über die Deinige aufwiegen? In Dir, meine Schwester, erblicke ich ein schöneres, edleres Bild meiner selbst. Soll der Spiegel ewig leben, während die Form wie der Thon des Töpfers zerbrochen wird? Ach nein – nein – Du wirst auf mich hören! Erinnerst Du Dich noch, wie wir Hand in Hand die Fluren bei Bajä durchwandelten, um die Blumen des Frühlings zu pflücken; ebenso werden wir auch Hand in Hand in den ewigen Garten eintreten und uns selbst mit unvergänglichen Asphodillen schmücken!«
    Erstaunt und verwirrt durch Worte, die sie nicht fassen konnte, aber bis zu Thränen gerührt durch den klagenden Ton ihres Bruders, hörte Ione diesen Ergüssen eines vollen und gedrückten Herzens zu. Apäcides zeigte sich in der That weit sanfter als sonst; seine gewöhnliche Stimmung nämlich war dem Anscheine nach entweder verschlossen oder ungestüm. Denn gerade die edelsten Empfindungen sind eifersüchtiger Natur – sie erfüllen die Seele, bemächtigen sich ihrer, und lassen oft die düsteren Launen stockend und unbeachtet auf der Oberfläche zurück. Weil wir den kleinlichen Gegenständen, die uns umgeben, keine Aufmerksamkeit schenken, werden wir für mürrisch gehalten, und weil wir über jede Unterbrechung irdischer Träume ungeduldig werden, für reizbar und unfreundlich erklärt. Denn wie überhaupt kein Hirngespinst eitler ist als die Hoffnung, ein Menschenherz werde in einem andern Sympathien finden, so faßt auch Niemand unser Treiben richtig auf, und Niemand erträgt uns mit Rücksicht – selbst unsere nächsten und theuersten Freunde nicht ausgenommen! Wenn wir aber gestorben sind und die Reue zu spät kommt, dann wundern sich Freund und Feind, wie wenig man eigentlich uns zu verzeihen gehabt habe.
    »So will ich denn von unsern früheren Jahren mit Dir sprechen,« sagte Ione; »soll Dir jenes blinde Mädchen von den Tagen der Kindheit singen? Ihre Stimme ist süß und wohltönend, und sie weiß ein Lied über diesen Gegenstand, das keine jener Andeutungen enthält, die Du nicht gerne hörst.«
    »Erinnerst Du Dich der Worte, meine Schwester?« fragte Apäcides.
    »Ich glaube wohl, die einfache Melodie hat sie meinem Gedächtnis eingeprägt.«
    »So sing' sie mir selbst. In meinem Ohr klingen ungewohnte Stimmen nicht an, und die Deinige, Ione, voll heimischer Erinnerungen, tönt mir süßer als alle die Miethlingsgesänge Lyciens oder Kreta's: sing' mir!«
    Ione winkte einer Sklavin, die im Säulengange stund, ließ ihre Laute holen und sang, als diese herbeigebracht war, zu einer zarten und

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