Die letzten Tage von Pompeji
einfachen Melodie folgende Verse:
Nicht daß in unsern Frühlingstagen
Die Wolken immer ferne sind,
Die Rosen keine Dornen tragen
Dem arglos selbstvergeßnen Kind.
Ach nein, auch auf das schönste Blatt,
Das uns der Lenz geboren hat,
Stürmt der erbarmungslose Wind!
So jung wir sind, sucht uns zu quälen
Vergangenheit und Gegenwart;
Doch sieh, der Hoffnungsstrahlen stehlen
Sich stets in das, was unser harrt;
Und ist der Schatten noch so dicht,
So drängt sich doch das Sonnenlicht
Hindurch auf unsre Pilgerfahrt.
Nicht daß in unsern spätern Jahren
Der Gram das Leben ganz durchwebt;
Nur daß sie mehr die Rosen sparen,
Und daß die Thräne länger bebt;
Und daß der Schmerz der wunden Brust,
Ob der Vergangenheit Verlust
Dumpf über jener Freude schwebt.
Verschwunden ist der Irisbogen,
Der durch die Wolken sanft gelacht,
Und wenn die Stürme uns umwogen,
So ist es ringsum dunkle Nacht;
Und mit dem Tande kind'scher Lust
Zerbrechen wir uns unbewußt
Den Stab, der unsre Stütze macht!
So traurig auch der Schlußvers dieses Liedes schien, hatte es doch mit ebenso viel Weisheit als Zartgefühl ausgewählt; denn wenn wir so recht traurig sind, hat gerade die Stimme der Freude den größten Mißton für uns. Der geeignetste Zauber ist der, welcher der Wehmuth selbst abgeborgt wird, denn düstere Gedanken können, wenn man sie nicht zu erhellen vermag, wenigstens gemildert werden; nur so verlieren sie die scharfen und harten Umrisse der Wahrheit, und ihre Farben verschmelzen sich mit dem Ideal. Wie der Arzt als Heilmittel gegen einen inneren Schaden einen äußern Reiz anwendet, der durch eine leichte Wunde das tödtliche Gift hinwegzieht, so besteht auch bei den fressenden Geschwüren der Seele unsere Kunst darin, den Schmerz, der am Innern nagt, in eine mildere Trauer auf der Oberfläche zu verwandeln. So erging es auch dem Apäcides: dem Einfluße der Silberstimme sich hingebend, die ihn an die Vergangenheit erinnerte und nur halb von den Schmerzen der Gegenwart sprach, vergaß er die unmittelbaren und sprudelnden Quellen qualvoller Gedanken. Er verbrachte mehrere Stunden damit, Ione halb singen zu lassen, halb sich mit ihr zu unterreden; und als er aufstund, um sie zu verlassen, geschah es mit einem ruhigen und besänftigten Gemüth.
»Ione,« sagte er, ihre Hand drückend, »solltest Du hören, wie mein Name angeschwärzt und verleumdet wird, würdest Du dann der Schmähung Glauben schenken?«
»Nie, mein Bruder, nie!«
»Hast Du nach Deinem Glauben die Überzeugung, daß der Übelthäter in einem andern Leben bestraft, der Gute aber belohnt werde?«
»Kannst Du daran zweifeln?«
»Glaubst Du also, daß der, welcher wahrhaft gut ist, in seinem Eifer für die Tugend jeden selbstsüchtigen Vortheil opfern sollte?«
»Wer so handelt, ist das Ebenbild der Götter!«
»Und du glaubst, daß das Maaß seiner Seligkeit jenseits des Grabes nach der Reinheit und dem Muthe, womit er also handelt, gemessen werde?«
»So lehrt man uns zu hoffen.«
»Küsse mich, meine Schwester. Noch eine Frage: Du stehst im Begriffe, Dich mit Glaukus zu vermählen; vielleicht trennt uns diese Heirath noch hoffnungsloser – doch nicht hievon spreche ich jetzt – Du stehst im Begriff, Dich mit Glaukus zu vermählen, liebst Du ihn? Nein, meine Schwester, antworte mir mit bestimmten Worten.«
»Ja,« lispelte Ione erröthend.
»Fühlst Du, daß Du um seinetwillen dem Stolz entsagen, der Entehrung trotzen und dem Tode entgegengehen könntest? Ich habe gehört, daß, wenn ein Weib wirklich liebe, ihre Liebe bis zu diesem Übermaß gehe.«
»Mein Bruder, alles dies könnte ich für Glaukus thun und fühlen, daß es kein Opfer wäre. Alles was wir für den Geliebten dulden, ist kein Opfer für das liebende Herz.«
»Genug! soll ein Weib so für einen Mann fühlen und ein Mann weniger aufopfernden Sinn für seinen Gott besitzen!«
Er sprach nicht weiter – sein ganzes Gesicht schien von einem göttlichen Leben bewegt und begeistert – seine Brust hob sich stolz – seine Augen glühten – auf seiner Stirne war die Majestät eines Mannes geschrieben, der es wagen kann, edel zu sein! Er wandte sich, um den ernsten, tiefsinnigen und bangen Blicken Ione's zu begegnen; er küßte sie zärtlich, drückte sie mit Inbrunst an seine Brust und einen Augenblick darauf hatte er das Haus verlassen.
Lange verblieb Ione an derselben Stelle stumm und gedankenvoll. Ihre Mädchen erinnerten sie mehremale, daß der Tag vorgeschritten, und die
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