Die letzten Tage von Pompeji
jetzt darbot, da er eine Weissagung aussprach, die das Schicksal so fürchterlich erfüllt hat. Das Morgenlicht, das selbst der jungen Wange der Schönheit eine so zarte Blässe verleihen kann, gab seinen majestätischen und stattlichen Zügen fast die Tinten des Grabes; das schwarze Haar aber fiel in schweren Massen um dieselben, das dunkle Gewand flatterte lang und lose herab, der Arm war von der luftigen Höhe ausgestreckt, und die feurigen Augen funkelten von wilder Freude – so stand Arbaces da, halb ein Prophet, halb ein böser Geist.
Er wandte seinen Blick von der Stadt und dem Ocean ab – vor ihm lagen die Weinberge und Auen des reichen Kampaniens. Die alten halb pelasgischen Thore und Mauern der Stadt schienen ihren Umfang keineswegs zu begrenzen. Landhäuser und Dörfer erhoben sich auf beiden Seiten den Abhang des Vesuvs hinauf, der damals noch nicht ganz so steil und hoch war, wie jetzt. Wie nämlich Rom selbst auf einem ausgebrannten Vulkan erbaut wurde, so hatten in ähnlicher Sorglosigkeit die Bewohner des Südens die grünen und mit Trauben bepflanzten Stellen um einen Vulkan her inne, dessen Feuer sie für immer erloschen glaubten. Von dem Thore her dehnte sich die lange, nach Größe und Bauart sehr mannigfaltige Gräberstraße aus, auf welcher man sich noch jetzt von dieser Seite her der Stadt nähert. Über die gesammte Umgegend ragte der sich in die Wolken verlierende Gipfel des fürchterlichen Berges empor, mit seinen halb dunkleren, halb helleren Schatten die moosigen Höhlen und aschfarbigen Felsen zeigend, die von den früheren Verheerungen Kunde gaben und, wenn der Mensch nicht blind wäre, die noch bevorstehenden hätte voraussagen können.
Damals und dort war es schwer, die Ursachen zu errathen, warum die an diese Stelle sich knüpfende Tradition eine so düstere und ernste Farbe trug; warum die Dichter in diese, auf mehre Meilen in die Runde – bis Bajä und Misenium – so heiteren Ebenen den Eingang und die Schwelle ihrer Hölle, ihren Acheron und ihren fabelhaften Styx verlegten; warum sie in diese jetzt vom Weinstocke lachenden Phlegrä [Fußnote: Oder Phlegraei campi , d.h. versengte oder verbrannte Felder. ] die Schlachten der Götter versetzten, und die kühnen Titanen gerade hier den Himmel versucht haben sollten; schwer, sagen wir, war die Ursache zu errathen, wenn nicht etwa die Phantasie in jenem versengten und zerstörten Gipfel die Wirkung des olympischen Donnerkeils erblicken mochte.
Doch weder die rauhe Höhe des stillen Vulkans, noch die Fruchtbarkeit der sich an ihm abdachenden Felder, noch die melancholische Straße der Gräber, noch die glänzende Villen eines verfeinerten und genußsüchtigen Volkes zogen in diesem Momente die Blicke des Egypters auf sich. An der einen Seite der Landschaft senkte sich der Vesuv in einem schmalen und unbebauten Bergrücken, und hie und da durch zackige Klippen und wildes Gebüsch unterbrochen, zur Ebene herab. Am Fuße dieses Bergrückens lag ein sumpfiger und ungesunder, jetzt ausgetrockneter Pfuhl, und das forschende Auge des Arbaces gewahrte die Umrisse eines lebenden Wesens, das sich an dem Moraste bewegte und sich hin und wieder beugte, wie um die gemeinen Gewächse des letzteren zu pflücken.
»Ha!« rief er laut, »ich habe also eine Gefährtin in diesen überirdischen Nachtwachen. Die Hexe des Vesuvs streicht herum. Wie, vernimmt sie auch, wie die Leichtgläubigen sich einbilden – vernimmt sie auch Belehrung von großen Sternen? hat sie gräuliche Zaubersprüche gegen den Mond ausgestoßen oder sucht sie, wie ihr häufiges Stillstehen bezeugt, garstige Kräuter aus diesem giftigen Sumpf? Wohlan, ich muß die Bekanntschaft dieser Mitarbeiterin machen. Wer immer nach Wissen strebt, lernt, daß keines Menschen Wissen verächtlich ist. Verächtlich seid bloß ihr, ihr feisten und aufgedunsenen Wesen, Sklaven der Üppigkeit, Müßiggänger im Denken, die ihr, nichts als die unfruchtbaren Sinne anbauend, euch einbildet, ihr dürftiger Boden könne die Myrte und den Lorbeer zugleich hervorbringen. Nein, der Weise allein vermag zu genießen! – Uns allein ist der wahre Genuß verliehen, wenn Geist, Kopf, Erfindung, Erfahrung, Nachdenken, Wissenschaft und Einbildungskraft sich wie Ströme vereinigen, um das Meer der Empfindung anzuschwellen! – Ione!«
Als Arbaces dieses letzte bezaubernde Wort ausgesprochen, versanken seine Gedanken auf einmal in eine noch geheimnisvollere Tiefe. Er stand stille, verwandte seine Augen nicht
Weitere Kostenlose Bücher