Die letzten Tage von Pompeji
durch die Menge hinschritt und einen der weniger besuchten Ausgänge des Forums erreichte, gewahrte er ein blasses und ernstes Antlitz, das ihn scharf ansah, und das er auch sofort erkannte.
In ein Pallium gehüllt, das seine heiligen Gewänder theilweise verbarg, betrachtete der junge Apäcides den Jünger dieses neuen und geheimnisvollen Glaubens, zu dem er selbst einmal halb bekehrt worden war.
»Ist auch er ein Betrüger? Macht auch dieser Mann, der so schlicht und einfach in seinem Leben, in seinem Anzuge und in seiner Miene ist – macht auch er, wie Arbaces, äußerliche Strenge zum Deckmantel der Sinnlichkeit? Verbirgt der Schleier der Vesta die Laster der Verworfenheit?«
Olinth, der an den Umgang mit Leuten aus allen Klassen gewöhnt war, und mit der Begeisterung seines Glaubens eine tiefe Menschenkenntnis verband, errieth vielleicht aus den Gesichtszügen des Isispriesters etwas von dem, was in der Brust des Letzteren vorging. Mit festem Auge und heiterer und aufrichtiger Stirne hielt er den prüfenden Blick des Apäcides aus.
»Friede sei mit Dir!« sagte er, den Apäcides grüßend.
»Friede,« wiederholte der Priester in einem so hohlen Tone, daß er dem Nazarener zum Herzen drang.
»In diesem Wunsche,« fuhr Olinth fort, »sind alle guten Gaben vereinigt – ohne Tugend kannst Du keinen Frieden haben. Wie der Regenbogen ruht der Friede auf der Erde, aber seine Wölbung verliert sich in den Himmel. Der Himmel badet ihn in den Tinten des Lichts – er entsteht inmitten von Thränen und Wolken, ist ein Abglanz der ewigen Sonne, ein Bürge der Ruhe, das Zeichen eines großen Bundes zwischen Gott und dem Menschen. Ein solcher Friede, junger Mann, ist das Lächeln der Seele, ein Ausfluß von dem fernen Kreis des unsterblichen Lichts. Friede sei mit Dir!«
»Ach!« begann Apäcides, gewahrte jedoch sofort die neugierigen Blicke der Umherschlenderer, die gerne erforscht hätten, was denn der Gegenstand eines Gesprächs zwischen einem Nazarener und einem Isispriester sein könne; er hielt deshalb inne und setzte mit leiser Stimme hinzu: »Hier können wir uns nicht unterhalten, aber ich will Dir an die Ufer des Flusses folgen; dort gibt es einen Spaziergang, der um diese Stunde gewöhnlich einsam und verlassen ist.«
Olinth nickte bejahend. Mit schnellem Schritt, aber mit lebhaftem und beobachtenden Auge ging er durch die Straßen. Da und dort wechselte er einen ausdrucksvollen Blick oder ein leichtes Zeichen mit einem der Vorbeigehenden, der seiner Kleidung nach den unteren Klassen angehörte; denn das Christenthum war hierin ein Vorbild aller andern minder wichtigen Revolutionen – das Senfkorn wucherte in den Herzen der Armen. Unter den Hütten der Armuth und des Fleißes hatte der gewaltige Strom, der später die Städte und Paläste der Erde mit seinem breiten Gewässer bespülte, seine unbeachtete Quelle.
Zweites Kapitel.
Die Mittagsfahrt auf dem kampanischen Meer.
»Aber erzähle mir Glaukus,« sagte Ione, als sie in ihrem Lustboote den kräuselnden Corpus hinabfuhren, »wie kamst Du mit Apäcides zu meiner Befreiung von jenem schändlichen Manne herbei?«
»Frage die Nydia dort,« antwortete der Athener, auf das blinde Mädchen deutend, das in einiger Entfernung von ihnen, nachdenkend auf seine Lyra gelehnt, saß. »Ihr mußt Du danken, nicht uns. Sie scheint in mein Haus gekommen zu sein, und da sie mich dort nicht traf, Deinen Bruder in seinem Tempel aufgesucht zu haben; er begleitete sie zu Arbaces; unterwegs trafen sei mich in einer Gesellschaft von Freunden, denen ich mich in der heitern Stimmung über Deinen freundlichen Brief angeschlossen hatte. Nydia's scharfes Ohr erkannte meine Stimme – wenige Worte genügten, mich zum Begleiter des Apäcides zu machen; meinen Gefährten übrigens sage ich nicht, warum ich sie verließ – konnte ich ihren leichten Zunge und ihrer Indiscretion Deinen Namen anvertrauen? Nydia führte uns an die Gartenthüre, durch welche wir Dich nachher trugen; wir traten ein und wollten uns eben in die Geheimnisse jenes argen Hauses stürzen, als wir Dein Geschrei in einer andern Richtung vernahmen. Das Übrige weißt Du.«
Ione erröthete tief; dann erhob sie ihre Augen zu Glaukus und in ihnen las er all den Dank, den sie nicht auszusprechen vermochte.
»Komm hierher, meine Nydia,« sprach Ione zärtlich zu der Thessalierin. »Sagte ich Dir nicht, Du sollest meine Schwester und Freundin sein? Bist Du nicht schon mehr gewesen – meine Beschützerin, meine
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