Die letzten Tage von Pompeji
Gott, jener Mann,« flüsterte sie zitternd. ] galten. Seine Stirn war hoch und kahl, die wenigen Locken am Hinterkopfe durch eine Art Kapuze versteckt, die einen Theil seines Mantels bildete und nach Belieben aufgezogen und herabgelassen werden konnte, jetzt aber zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen über den Kopf hereingezogen worden war. Sein Gewand war braun – eine, bei den Pompejanern, die alle die gewöhnlichen Mischungen von Scharlach und Purpur sorgfältig vermieden, nicht sehr beliebte Farbe. Sein Gürtel enthielt ein kleines Dintengefäß, das eingehängt war, einen Stylus (Griffel) und Schreibtäfelchen von nicht gewöhnlicher Größe. Noch auffallender war, daß der Gürtel keine Börse enthielt, die doch eine beinahe unerläßliche Zugabe desselben bildete, – selbst wenn diese Börse das Unglück hatte, leer zu sein.
Es geschah nicht häufig, daß die lebenslustigen und egoistischen Pompejaner sich damit abgaben, die Gesichter und Handlungen Anderer zu beobachten; aber in Lippe und Auge dieses Mannes lag, als er die religiöse Prozession die Stufen des Tempels hinaufsteigen sah, etwas so auffallend Bitteres und Verachtendes, daß es nicht verfehlen konnte, vielseitige Aufmerksamkeit zu erregen.
»Wer ist jener Cyniker?« fragte ein Kaufmann seinen Gefährten, einen Juwelier.
»Es ist Olinth,« antwortete der Befragte, »der im Geruche eines Nazareners steht.«
Der Kaufmann schauderte. »Eine schreckliche Sekte,« sprach er mit leiser, furchtsamer Stimme. »Man sagt, bei ihren nächtlichen Versammlungen beginnen sie ihre Ceremonien jedesmal mit der Ermordung eines neugeborenen Kindes, auch stellen sie die Lehre von der Gemeinschaft der Güter auf. Was würde aus den Kaufleuten oder Juwelieren werden, wenn solche Begriffe in die Mode kämen!«
»Das ist sehr wahr,« entgegnete der Juwelier, »überdies tragen sie keine Juwelen und murmeln Verwünschungen, wenn sie eine Schlange sehen, während doch alle unsere Verzierungen in Pompeji schlangenförmig sind.«
»Sehet nur,« sagte ein Dritter, ein Fabrikant von Bronzewaaren, »wie jener Nazarener die Feierlichkeit des Opferzuges verspottet. Er murmelt gewiß Flüche auf den Tempel. Weißt Du wohl, Celsinus, daß dieser Bursche, als er neulich an meiner Bude vorbeiging und mich an einer Statue der Minverva beschäftigt sah, mir mit Stirnrunzeln erklärte, wenn sie von Marmor wäre, so würde er sie zerbrochen haben, aber das Erz sei zu stark für ihn. ›Eine Göttin zerbrechen!‹ sagte ich – ›eine Göttin,‹ antwortete der Atheist, ›es ist ein Dämon, ein böser Geist.‹ Dann setzte er fluchend seinen Weg fort. Ist so etwas zu dulden? Was Wunder, daß die Erde in der letzten Nacht so fürchterlich erbebte, wie um den Atheisten aus ihrem Schooß zu werfen. Ein Atheist, sag' ich? Noch etwas Schlimmeres, ein Verächter der schönen Künste! – Wehe uns Bronzefabrikanten, wenn solche Burschen der Gesellschaft Gesetze geben dürften!«
»Dies sind die Mordbrenner, die unter Nero Rom anzündeten,« seufzte der Juwelier.
Während solche freundliche Bemerkungen über das Aussehen und den Glauben des Nazareners gewechselt wurden, gewahrte auch Olinth selbst den Eindruck, den er hervorbrachte; er schaute sich um und beobachtete die aufmerksamen Gesichter des Haufens, der immer größer wurde, ihn angaffte und sich allerlei zuflüsterte. Er betrachtete die Menge einen Augenblick mit einem Ausdrucke des Trotzes, darauf des Mitleidens, und entfernte sich sodann, nachdem er seinen Mantel um sich geschlagen, indem er hörbar murmelte: »Verblendete Götzendiener! – Hat euch das Erdbeben der vorigen Nacht nicht gewarnt? Ach, wie werdet ihr am letzten Tage bestehen!«
Die Menge, welche diese weissagenden Worte hörte, legte sich dieselben verschieden aus, je nach den verschiedenen Schattirungen der Unwissenheit oder Furcht; alle jedoch stimmten in der Ansicht überein, daß eine schreckliche Verwünschung in ihnen liege. Sie betrachteten den Christen als den Feind der Menschen; die Beiworte, mit denen sie ihn überhäuften, unter denen Atheist das beliebteste und häufigste war, dürften vielleicht uns, die Bekenner desselben nunmehr triumphirenden Glaubens, als Warnung dienen, solchen Meinungsverfolgungen, wie sie Olinth erlitt, uns nicht hinzugeben, und diejenigen, deren Ansichten von den unsrigen verschieden sind, nicht mit solchen Ausdrücken zu beschimpfen, wie sie den Vätern unseres Glaubens damals so reichlich zu Theil wurden.
Während Olinth
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