Die letzten Worte des Wolfs
Landtiere, für Ackerbau, Familie und Heilkunde. Viele Bereiche der Heilkunde hat der weise Kjeer an seine Untergöttin Helele abgetreten, weil sie von Schwäche zeugen und einem Zerfall durch das Altern, dem wohl die Menschen, nie jedoch ein Stein ausgesetzt war. Wir bereiten aber dennoch manchmal Gegenstände vor, mit denen wir helfen können, das Gewicht und die Verantwortung eines tiefen Grundes zu ertragen. Warte einen Moment.« Er stemmte sich hoch und glitt dann davon, verschwand in einem kaum zu erkennenden Seitengebäude. Nach einem Sandstrich kam er wieder aus dem Dämmerlicht. Er hielt ein zusammengelegtes Tuch in Händen, das er vor Rodraeg auseinanderfaltete: ein hellgraues Hemd ohne Knöpfe und Taschen.
»Ein Totenhemd?« fragte Rodraeg.
»Nein. Dies ist ein Schutzhemd. Bergleute tragen solche. Es ist nicht stabil genug, um einer Verschüttung zu begegnen, aber es schützt den Leib, das Herz, die Lunge, vor Atemnot unter dem Gewicht eines Gebirges.«
»Wie funktioniert das? Durch Kjeers Magie?«
»Durch seine Ruhe und Geduld. Wir beten, wir summen. Wir lassen Kräuter und Dämpfe auf den Stoff einwirken. Dieses Hemd trägt Kjeers Segen. Falls das, was dich verwundet hat, wirklich Kjeer gehörte, müÃte dieses Hemd dir helfen, die Wunde zu beruhigen.« Sie besänftigen das Wachs, muÃte Rodraeg an eine Prozedur denken, die in der Höhle bei Terrek tatsächlich von groÃer Bedeutung gewesen war. Vielleicht war es tatsächlich möglich, das Schwarzwachs, das seine Lunge eingeatmet hatte, friedlich zu stimmen. Er versuchte das Dunkel der Kapuze mit Blicken zu durchdringen. Was wuÃte Kjabram? Hatte er bereits alles durchschaut? Nein. Das Hemd war die übliche Gewandung von Bergleuten, die ähnliche Krankheitsanzeichen hatten wie Rodraeg.
»Ich danke Euch sehr.« Rodraeg nahm das Hemd an sich und schnupperte daran. Es roch ganz leicht nach gemahlenen Nüssen. »Wieviel bin ich Euch schuldig?«
»Wir sind keine Schacherer. Das Hemd schenkt dir Kjeer aus Zugeneigtheit. Falls du allerdings dem Tempel eine Spende entrichten möchtest, in einer Höhe, die dir angemessen scheint: die Erdmulde für die Opfermünzen befindet sich gleich neben dem Eingang.«
»Ich danke Euch nochmals.« Rodraeg deutete eine höfliche Verbeugung an, die Kapuze des Abtes bewegte sich kaum. Dann ging Rodraeg langsam Richtung Ausgang. Die beiden Besucherinnen musterten ihn unverhohlen. In ihren Augen hatte er der heiligen Tempelruhe durch sein hemmungsloses Gehuste Schaden zugefügt.
Er kramte einige Münzen aus seinem Geldsäckchen und überlegte sich, wieviel er spenden sollte. Eigentlich war er kein religiöser Mensch, und der Dialog mit den Tempeln lag ihm erst seit neuestem am Herzen, seit Naenn davon gesprochen hatte, daà hier uraltes Wissen verborgen lag â Wissen, das dem Mammut nutzen konnte. Er konnte sich auch jetzt nicht ganz freimachen von dem alten Widerwillen, mit seinen Münzen die Bäuche von Unsinn predigenden Klerikern zu füllen. Aber Abt Kjabram war kein Fettwanst gewesen, so wie die meisten Priester der Sonnenfelder. AuÃerdem stellte das Hemd einen greifbaren Wert dar, gemessen nach Handwerkszeit und Mühen. Rodraeg beschloÃ, vier Taler in die Mulde zu legen, die wie ein Kindergrab aussah. Vier Taler waren immerhin beinahe ein Drittel dessen, was er augenblicklich besaÃ, und auÃerdem: Falls sich das Hemd als wundertätig erweisen sollte, könnte er ja immer noch nach bestandenem zweiten Auftrag hierher zurückkommen und noch mehr dazulegen.
Das zusammengefaltete Hemd unter dem Arm, machte er anschlieÃend noch einen Abstecher zum Kräuter- und Drogenladen, um sich weitere dieser schmackhaften und wohltuenden Pastillen zu kaufen, doch Samistien Breklaris hatte an diesem Tag geschlossen. Da Rodraeg sich unbedingt vor dem morgigen Aufbruch noch versorgen wollte, erkundigte er sich in Breklarisâ Nachbarschaft, ob der Laden morgen geöffnet sei. Nein, sagten die Leute, der Kräuterhändler habe sogar drei aufeinanderfolgende Ruhetage in der Woche, da bräuchte man erst überübermorgen wiederzukommen.
Rodraeg fluchte leise. Er hatte nur noch drei Pastillen übrig. Von einem Moment zum nächsten war das seltsame Hemd in seiner Armbeuge zu seiner einzigen Hoffnung geworden.
Rodraegs letzter Abstecher an diesem Tag führte ihn ins Warchaimer
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