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Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Steingarten ohne dazwischen sprießendem Grün; Steine in allen denkbaren Formen und Farben, vom Sandkorn über Kiesel, Fauststein und Findling bis zur scharfkantigen Absplitterung eines Berges. Alles übereinandergetürmt oder zur Kontemplation nebeneinandergeschüttet. Ein Weltbild der Härte, jedoch gebettet auf dunklem, feuchtem, frisch geharktem Erdboden, der äußerst fruchtbar aussah und duftete.
    Ein paar Mönche und Äbte des Kjeer saßen inmitten der Steine und machten – aufgrund des funzeligen Lichtes tief über die Schrift gebeugt – Einträge in Bücher von gelbem Pergament. Andere huschten mit schmalen Eggen umher oder sprachen mit den beiden Frauen, die neben Rodraeg zur Zeit die einzigen Besucher waren. Alle Kjeermönche trugen bodenlange braune Gewänder mit über den Kopf geschlagenen Kapuzen. So wirkten ihre in Schatten liegenden Gesichter wie die von scheuen Wesen, die aus dem Dunkel eines Höhleneingangs herauslugten.
    Ein Abt kam lautlos auf Rodraeg zu. Seine Kutte war erdbekrümelt, seine Finger und kurzgeschnittenen Fingernägel schmutzig.
    Â»Kjeer nimmt dich auf, mein Sohn«, sagte er zur Begrüßung. Rodraeg spürte Husten in sich aufsteigen, kämpfte aber dagegen an. »Was führt dich zu uns? Willst du Ruhe finden inmitten einer allzu schnell fließenden Zeit? Brauchst du Hilfe oder einen Rat, den nur die gute Erde geben kann?«
    Â»Ich … bin mir nicht sicher. Ich denke, ich suche einen Rat oder einen Hinweis.«
    Â»Dann setz dich hier zu mir auf diesen Fels. Ich bin Abt Kjabram. Darf ich deinen Namen erfahren?«
    Da war es wieder, dieses leichte innere Zurückzucken. Namen. Namen in Verbindung mit der Vergiftung, die nur an einem einzigen Ort des Kontinents entstanden sein konnte. Rodraeg räusperte sich. Der Husten begehrte auf. »Ich möchte meinen Namen lieber nicht nennen. Die Angelegenheit, in der ich um Rat suche, ist heikel. Zu vieles davon könnte von den falschen Leuten … miß verstanden werden.«
    Â»Die Erde bewahrt, sie trägt nicht weiter.« Das Gesicht des Abtes war unter der Kapuze kaum zu erkennen. Die Stimme klang alt, aber nicht greisenhaft, etwa wie die Stimme von Rodraegs Vater, knapp über sechzig. Wie konnte man jemandem vertrauen, der sein Gesicht in Schatten barg? Dennoch wollte Rodraeg nicht einfach wieder gehen. Es war faszinierend hier. Dunkel, schwer, feucht riechend, aber nichtsdestotrotz staubtrocken, alt, still, majestätisch in Bescheidenheit. Rodraeg setzte sich auf den vom Abt bezeichneten Stein, der vielleicht von den Kjeerklippen stammen mochte.
    Â»Ich war unter der Erde, in einer Höhle«, fand Rodraeg von neuem einen Beginn. »Ich atmete. Ich lebte. Ich war nicht… bereit für das, was im Inneren schwelte. Ich …« Ich beginne
    jeden Satz mit »ich«. »Im Verlauf eines ganzen Mondes und mehr … kam ich in Berührung mit dem Inneren der Erde. Es hat mich krank gemacht. Seitdem habe ich das hier.« Er gab dem Hustenreiz jetzt nach und bewies dem Abt, wie laut und langanhaltend ein Hustenanfall sein kann. Erschöpft stützte Rodraeg sich auf mehreren Steinen ab. »Leider kann ich Euch nicht alle Einzelheiten nennen, aber ich habe Grund zu der Annahme, daß diese Vergiftung durch … Reinheit entstanden ist. Durch etwas, was man Kjeer zuordnen würde, in seiner reinsten Form. Meine Frage ist nun: Falls die Erde mich vergiftet hat, kann die Erde mich auch wieder heilen?«
    Â»Dieser Husten klingt nicht gut«, sagte Abt Kjabram bedächtig. »Das ist keine Erkältung und keine Überreiztheit. Er klingt ein wenig wie ein Husten, den Bergmänner bekommen, wenn sie nach verborgenen Metallen schürfen. Die Untergrundmenschen des Targuzwalles könnten dir womöglich helfen, denn noch nie habe ich von einem Untergrundmenschen gehört, der unter Tage krank geworden ist.«
    Â»Wahrscheinlich sind sie einfach robuster als wir.«
    Â»Das sicher. Aber sie wissen auch vieles. Wir Mönche des Kjeer bewundern die Untergrundmenschen. Sie sind unserer Berufung viel näher als wir, indem sie vollständig unter der Erde leben. Wir jedoch müssen Mittler sein. Wir dürfen das Sonnenlicht nicht völlig vergessen.« Er seufzte wehmütig. »Ich habe eine Ahnung, wie ich dir helfen könnte. Kjeer steht nicht nur für Felsen und Erdreich, sondern auch für Pflanzen und

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