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Die letzten Worte des Wolfs

Die letzten Worte des Wolfs

Titel: Die letzten Worte des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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wie vorher.
    Alles war wie vorher. Naenn war immer noch bei ihnen und würde sie für mindestens vier weitere Monde nicht verlassen. Gegen den Husten gab es Kräuter, Pastillen und sogar ein magisch behandeltes Kleidungsstück. Der Aufbruch und die Reise bargen den Geruch von Abenteuer. Wenn er nur weiter auf seinem Hintern hätte hocken wollen bis zur Weißbärtigkeit, hätte er in Kuellen bleiben können.
    Er trat ein, wurde willkommen geheißen, es duftete nach Kräuterbrot, von Naenn farbenprächtig zubereitetem Salat und reifem Käse. Alle langten hungrig zu. Bestar erzählte, wie er die schöne Meldrid auf dem Marktplatz wiedergetroffen und sich vergeblich bemüht hatte, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Rodraeg erzählte von dem, was er in der Bibliothek in Erfahrung gebracht hatte, und von seinem Besuch im Kjeertempel. Das Hemd, erklärte er den anderen, wollte er zur Nacht erstmals ausprobieren. Naenn und er wechselten einige Blicke. Jeder dieser Blicke war vieldeutig.
    Nach dem Abendbrot und nachdem Bestar ihnen allen seine neue, maßgeschneiderte Lederrüstung vorgeführt hatte, paßte Rodraeg Cajin in der Küche ab. »Kannst du mir heute nacht einen Gefallen tun? Ich möchte, daß wir die Zimmer tauschen. Erstens weiß ich nicht, ob das Hemd etwas bewirkt, und ich kann, wenn ich in einem anderen Stockwerk als ihr schlafe, lauter husten, ohne euch alle wachzuhalten. Zweitens erwarten wir heute nacht zwei geheimnisvolle Besucher, die Riban uns angekündigt hat. Ich möchte gerne derjenige sein, der ihnen die Tür öffnet. Der allererste Eindruck kann für mich schon von Bedeutung sein.«
    Â»Ich werde vor Aufregung aber nicht schlafen können«, antwortete Cajin. »Ich bin unglaublich gespannt auf die beiden. Riban sagte, nur einer von ihnen könnte möglicherweise für uns in Frage kommen, der andere wohl nicht.«
    Â»Deshalb lege ich Wert darauf, daß ich die Tür öffne. Ich will sehen, wie die beiden auf mich reagieren. Aber wenn du ohnehin wach bist, dann machen wir es doch folgendermaßen: Du gehst in Migals Zimmer, das hat ein Fenster zur Straße. Wenn es klopft, frage ich dich, was du von dem Ankömmling sehen konntest, als er sich näherte, und wie du ihn einschätzt.«
    Cajins Gesicht glühte vor Eifer. Er fand es toll, daß Rodraeg auf seine Menschenkenntnis Wert legte. »Ich werde am Fenster Wache halten«, gelobte er. »Ich muß ja morgen auch nicht reisen wie ihr und kann mich tagsüber ausruhen.«
    Â»In Ordnung.«
    Â»Ach, da fällt mir noch etwas ein. Ich habe mich heute mal umgehört. Einer unserer Nachbarn die Straße weiter raus nach Westen will gestern nacht einen Wolf gesehen haben, der die Straße entlangtrottete und an verschiedenen Türen schnüffelte. Das ist aber eher ungewöhnlich, weil wir hier schon ziemlich tief drin sind in der Stadt. Daß sich an den äußersten Rand innerhalb der kaputten Mauer vielleicht einmal ein Wolf verirrt, kann ich mir noch vorstellen – aber bis in diese Straße? Sehr eigenartig.«
    Â»Jedenfalls hast du dich nicht getäuscht. Der Wolf war jedoch nicht nur an uns interessiert, sondern an mehreren Häusern. Hattest du den Eindruck, er wollte bei uns rein?«
    Â»Nein. Nur Schnuppern und ein Schaben wie von einer weichen Nase. Kein Kratzen von Krallen oder so.«
    Â»Dann hat es wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Bleib trotzdem wachsam. Man kann ja nie wissen.«
    Â»Du kannst dich auf mich verlassen.«

4

Nebel und Licht
    Cajins Zimmer war genauso winzig wie Rodraegs und genauso fensterlos. Auf einem kleinen Regal standen die beiden Bücher, die Rodraeg Cajin geliehen hatte. Einen solchen Ehrenplatz hätten sie bei Rodraeg nicht gehabt.
    Rodraeg hatte sich zur Nacht das Kjeerhemd angezogen und war wieder früh zu Bett gegangen, lag aber noch lange wach. Neben dem Bett hatte er einen langsam brennenden Öldocht, um nachts, wenn die erwarteten Gäste klopften, schnell Licht machen zu können.
    Er versuchte sich ein wenig zu beruhigen. Er sagte sich, daß er hier unten im Erdgeschoß ruhig husten könne, aber der Husten ließ ihn fast völlig in Frieden. Das magische Hemd verströmte seinen eigenartigen, nussigen Duft. In Gedanken ging Rodraeg immer wieder seinen Faustkampf mit Ryot Melron durch, damals, kurz vor Aldava und dem Kreis. Er fand keinen Moment, an dem er

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