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Die Libelle

Die Libelle

Titel: Die Libelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carré
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Barnum. Dachte, der Standard ließe sich vielleicht ein bisschen anheben. Die besondere Beziehung unter Beweis stellen.«
    Schlaff stand er auf, ließ die Zigarette neben ihrem Bettgestell fallen und trat sie mit dem Stiefel aus.
    »Du hast nicht ‘n bisschen Hasch für ‘n armen Mann, oder, Smith?« »Raus!« sagte sie.
    Ohne Widerrede fügte er sich ihrem Urteil und schlurfte auf sie zu, hielt dann an, hob den Kopf und blieb still stehen; und zu ihrer größten Verlegenheit sah sie, dass seine erschöpften, charakterlosen Augen mit Tränen gefüllt waren und er ums Kinn etwas Kindlich-Flehendes hatte.
    »Tayeh will mich nicht vom Karussell abspringen lassen«, klagte er. Sein gedehnter Südstaaten-Akzent war ganz normaler Ostküsten-Sprache gewichen. »Er fürchtet, meine ideologischen Batterien hätten keinen Saft mehr. Womit er leider nicht ganz unrecht hat. Irgendwie ist mir die logische Beweisführung dafür abhanden gekommen, dass jedes tote Baby ein Schritt in Richtung Weltfrieden ist. Dabei ist es eine Belastung, wenn man zufällig einige umgebracht hat. Tayeh ist in der Beziehung hochanständig. Er ist überhaupt ein hochanständiger Mann. ›Wenn du gehen willst, geh!‹ sagte er. Und zeigte dann hinaus in die Wüste. Hochanständig.«
    Wie ein verwirrter Bettler nahm er ihre Rechte in beide Hände und starrte auf die leere Handfläche. »Ich heiße Halloran«, erklärte er, als hätte er Mühe, sich überhaupt daran zu erinnern. »Statt Abdul heißt es Arthur J. Halloran. Falls du jemals irgendwo an einer US-Botschaft vorbeikommst, Smith, ich wär’ dir wahnsinnig dankbar, wenn du ihnen kurz sagen würdest, dass Arthur Halloran, früher Boston und bei der Vietnam-Show und in letzter Zeit bei weniger regulären Armeen, lieber heut’ als morgen nach Haus käme und seine Schuld der Gesellschaft gegenüber abtragen würde, ehe diese aberwitzigen Makkabäer über den Berg kommen und uns alle umlegen. Würdest du das bitte für mich tun, Smith, altes Mädchen? Ich mein’, wenn’s brenzlig wird, sind wir Angelsachsen doch die ersten, die geliefert sind, meinst du nicht?«
    Sie war kaum fähig, sich zu bewegen. Eine unwiderstehliche Mattigkeit hatte sich ihrer bemächtigt, wie das beginnende Kältegefühl bei einem Schwerverwundeten. Sie wollte nur noch schlafen. Mit Halloran. Ihm den Trost spenden, um den er bat, und sich ihrerseits Trost von ihm holen. Egal, ob er sie dann am Morgen anschwärzte oder nicht. Sollte er doch. Sie wusste nur, dass sie diese höllische, leere Zelle nicht noch eine einzige Nacht ertragen konnte. Er hielt immer noch ihre Hand. Sie ließ ihn gewähren, ihn, der wie ein Selbstmordkandidat auf dem Fenstersims redete und redete und gleichzeitig sehnsüchtig auf die Straße tief unten hinunterstarrte. Dann, mit einer gewaltigen Anstrengung, machte sie sich von ihm frei und schob seinen ausgemergelten Körper, der nicht den geringsten Widerstand leistete, mit beiden Händen hinaus auf den Gang. Sie setzte sich auf ihr Bett. Es war dieselbe Nacht, kein Zweifel. Sie roch noch den Rauch seiner Zigarette. Und sah die Kippe vor ihren Füssen.
    Wenn du gehen willst, geh, hatte Tayeh gesagt. Und dann in die Wüste hinausgewiesen. Tayeh ist ein hochanständiger Mann.
    Es gibt keine Angst, die damit zu vergleichen wäre , hatte Joseph gesagt. Mit deinem Mut wird es dir ergehen wie mit Geld. Du gibst aus und gibst aus, und eines Tages guckst du in deine Taschen und stellst fest, dass du pleite bist. Das ist der Augenblick, wo der echte Mut beginnt.
    Es gibt nur eine Logik , hatte Joseph gesagt, dich. Es kann auch nur einen Überlebenden geben: dich. Und nur einen Menschen, dem du trauen kannst: dir selbst.
    Sie stand am Fenster und machte sich Sorgen wegen des Sandes. Ihr war nie klar gewesen, dass Sand so hoch steigen kann. Tagsüber, gezähmt von der sengenden Sonne, lag er ganz brav da, doch wenn der Mond schien, wie jetzt, schwoll er zu unruhigen Kegeln an, die von einem Horizont zum anderen sprangen und einen narrten, so dass sie wusste: Es war nur eine Frage der Zeit, bis er durch die Fenster geronnen kam und sie im Schlaf erstickte.
    Das Verhör begann am nächsten Morgen und dauerte, wie sie später rekonstruierte, einen Tag und zwei halbe Nächte. Es war ein aberwitziger, mit Vernunft nicht zu erfassender Vorgang, hing ganz davon ab, wer an der Reihe war, sie anzuschreien, und ob sie ihr revolutionäres Engagement in Zweifel zogen oder sie beschuldigten, eine britische oder

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