Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
beobachtet wurden. Doch so sehr ihre Augen auch die Umgebung absuchten, sie konnte niemanden entdecken. Sie sagte sich, dass sie einfach übermüdet war und dass ihnen hier wohl kaum eine Gefahr drohte, doch das Gefühl wollte nicht weichen. Die Anderen schienen nichts davon mitzubekommen. Zumindest hielt Lucthen, der vor ihr ging, den Blick stets geradeaus gerichtet und Dawn plauderte hinter ihr fröhlich mit Corus. Crystal warf einen Blick über ihre Schulter. Bildete sie sich das ein oder entwickelte sich zwischen den Beiden mehr als Freundschaft? Sie hatte es bisher nicht gewagt, Dawn danach zu fragen, doch sie nahm sich vor es bald zu tun. Dass Corus in die Gauklerin verliebt war, war ja mehr als offensichtlich, doch bei ihr konnte man das nicht so genau sagen. Crystal fuhr erschrocken herum.
„ Alles in Ordnung?“
„ Ja, alles in bester Ordnung“, rief sie zu Corus nach hinten. Anscheinend hatte niemand den Schatten gesehen, den sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Wenn niemand von den Anderen etwas bemerkte, dann war da auch nichts, sagte sie sich. Doch sie war immer noch nicht restlos überzeugt. Lucthen war immerhin vollauf damit beschäftigt ihnen einen Weg durch das Unterholz zu bahnen und Dawn und Corus waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihre Umgebung nicht wirklich wahrnahmen. Da! Diesmal war sie sich ganz sicher. Hinter dem Baum dort drüben hatte sie ein Gesicht gesehen. Crystal blieb stehen. „Wir wissen, dass ihr hier seid. Zeigt euch endlich!“
Vor ihr blieb Lucthen abrupt stehen und warf einen besorgten Blick über die Schulter. Crystal ignorierte ihn und suchte nach einer verräterischen Bewegung zwischen den Sträuchern, lauschte angestrengt. Der Wald war vollkommen ruhig. Crystal fühlte wie ihr eine sanfte Röte in die Wangen stieg. Die Anderen mussten sie für verrückt halten! Doch sie war sich so sicher gewesen. Dann plötzlich, wie auf ein geheimes Zeichen, traten sie hinter den Bäumen hervor. Crystal hielt den Atem an. Sie hatte den ganzen Tag über ihre Anwesenheit gespürt, doch sie hatte keine Ahnung gehabt, dass es so viele waren. Sie hatten rund um ihre Gruppe herum Stellung bezogen. Manche am Boden, verborgen hinter dicken Stämmen oder kauernd hinter Hecken, andere standen auf den Ästen der Bäume und blickten interessiert auf sie herab.
Ein älterer Mann, dessen offenes Haar ihm bis auf die Hüften fiel, trat schließlich vor. Ein kleines Lächeln lag auf seinen Lippen. „Es lag nicht in unserer Absicht euch zu erschrecken, doch wir wollten herausfinden, welch’ seltsame Menschen durch unsere Wälder reisen.“
Er nannte sie seltsam! Machte er sich über sie lustig? Immerhin waren sie es, die so eigenartig angezogen waren, dass Crystal die Worte fehlten um die Kleidungsstücke zu benennen. Der Mann vor ihr trug eine Kutte, die bis auf den Boden reichte und die in den Farben der Erde gehalten war. Crystal musterte die Umstehenden. Die Gesichter waren nicht unfreundlich, trotzdem durchlief sie ein Schaudern. Sie sahen wild aus mit ihrer eigenartigen Haartracht und den Rüstungen aus braunem Leder.
„ Ehrenwerter Druide. Wir stammen aus den Mittellanden und sind mit der Genehmigung unseres Königs in den Auen“, begann Lucthen zu erklären.
Crystal legte den Kopf zur Seite. Wie kam Lucthen auf die Idee, dass der Mann vor ihr ein Druide war? Sie musterte ihn genauer. Er war wohl älter als sie zuerst angenommen hatte. In seinem Gesicht waren tiefe Falten eingegraben und seine Augen strahlten ein ruhiges Wissen aus, wie Crystal es bisher nur bei Greisen gesehen hatte. Andererseits hielt er sich so aufrecht, dass er den Eindruck erweckte, in der Blüte seiner Jugend zu stehen. Seine rechte Hand hielt einen Stab, der ihm bis zur Schulter reichte und scheinbar aus einer einzigen Wurzel gefertigt worden war. Außerdem war er der Einzige, der eine Kutte trug, alle anderen – Männer und Frauen – trugen Hosen.
„ Der Wald hat euch willkommen geheißen. Er erzählt von Einer, die seine Sprache spricht und ihm doch fremd ist. Ich muss gestehen, ich war gespannt diese Person kennen zu lernen. Es dauert für gewöhnlich Jahre, das Lied des Waldes zu verstehen.“ Das Lächeln des Druiden war gütig und Crystal beschloss, dass sie ihn mochte.
„ Wir reisen in Begleitung einer Liedmeisterin“, erwiderte Lucthen. Crystal erstarrte. Er deutete ja an, dass sie diejenige war, die der Druide gemeint hatte! Sie konnte nicht mit dem Wald reden und das wusste
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