Die Lichtermagd
erst, wie nahe ihr diese Wahl gegangen war.War sie zu feige gewesen? Hatte sie befürchtet, das Kind würde ihr Vorwürfe machen, weil sie es im Stich gelassen hatte? Sie war sich unsicher. Und trotz ihrer Müdigkeit hielten diese Grübeleien sie die ganze Nacht über wach. So hatte sie zum zweiten Mal kaum ein Auge zugetan, als der Hahn krähte und das Morgengrauen nahte.
Bald darauf saßen die drei Reisenden wieder auf dem Karren und setzten ihrenWeg fort. Sie kamen an der Abzweigung nach Castel vorbei. Dort, so hieß es, habe Kaiser Ludwig seine Tochter, Prinzessin Anna, begraben, als er selbst noch König gewesen war. Luzinde konnte sich mittlerweile gut in einen Vater hineinversetzen, der sein Kind zu Grabe tragen musste. Sie selbst hatte immerhin den Trost, dass ihr Kind irgendwo noch lebte und lachte. Doch auch sie trauerte, das wusste sie nun. Und was ihr blieb, war das Andenken.
Doch die Reise lenkte ihre Gedanken schnell wieder in andere Bahnen. Der Tag war strahlend hell, brachte aber eine empfindliche Kälte mit sich. Gottschalks Finger waren bereits so steif, dass er viele Handgriffe nicht mehr selbst machen konnte. Der alte Mann ertrug das Gerüttel, so gut er konnte, doch im Verlauf des Tages wurden seine Lippen immer schmaler und sein Rücken immer krummer. »Aber wer missen heut noch nach Hirschau«, sagte er. »Jezt dirfen wer nit mer trödeln.«
Das Unterfangen gelang. Über Amberg und kleinere Höfe erreichten sie den Ort in einer kleinen Seenlandschaft noch am Abend desselben Tages. Am Hauptweg stand ein Büttel am Tor, der ein Auge auf die einreisenden Karren warf und Händler anhielt. Als Gottschalk und Luzinde wie alle anderen Karren durch das Holztor fahren wollten, da streckte der Mann den Arm mit einem Stock aus wie eine Schranke. »Nicht ihr«, bellte er ihnen zu. Luzinde hielt gehorsam an. Der Wachmann sackte eine Geldsumme von dem Händler ein, dessen Wagen er gerade untersucht hatte, dann wandte er sich ihnen zu.
»Ihr müsst einen Torpfennig zahlen.«
»Einen Torpfennig? Und der da?« Luzinde deutete auf einen Mann, der unbehelligt das Tor passierte. Fischlein, der neben dem Karren ging, spannte sich und legte seine Hand auf die Wand des Bockes, wo sich sein Knüppel fand.
»Der eben nicht«, grunzte der Büttel unfreundlich.
»Und alle anderen müssen auch nicht zahlen?« Sie wies auf weitere Reisende, die das Tor durchschritten.
»S’ ist ein Judenpfennig«, grinste der Mann. »Und für Schwätzer wie euch sind es je ein Pfennig pro Rad.«
Gottschalk legte die Hand auf Luzindes Arm und warf Fischlein einen warnenden Blick zu. »Komm, Kind, wir fahren außen herum.«
»Außen rum?«, fragte der Büttel stirnrunzelnd.
»Wir missen nicht in deine Stadt, Mann«, erklärte Gottschalk. »Es gibt genug Hefe außen rum, in denen wir Herberge finden kennen.«
»Außen rum – das kostet dasselbe«, knurrte der Kerl, rückte sich den Helm gerade und baute sich zu seiner ganzen Grö ße auf. »Durch oder drum – zwei Pfennig pro Jude.«
»Das ist doch -«, ereiferte sich Luzinde, doch Gottschalk
drückte ihren Arm so fest, dass sie erschreckt innehielt. Der Alte warf ihr einen warnenden Blick zu.Was der Alte nicht sah, war Fischleins Reaktion. Der Knecht zog seinen Knüppel unter dem Bock hervor und reckte ihn gegen den Büttel. »De lest uns geen, Kerl«, knurrte er dabei.
Dann ging alles sehr schnell. Der Büttel schlug Fischlein mit seinem Stock voller Wucht auf den Arm, so dass der den Knüppel mit einem Schrei fallen ließ. Dann ließ er ihn mit einem Tritt in den Bauch vornüberkippen. Fischlein hielt sich stöhnend den Arm, doch Luzinde konnte trotzdem sehen, dass der in einem ungesunden Winkel herunterhing.
Gottschalk stand auf und hob beschwichtigend die Hände, als der Büttel mit dem Stock weiter auf Fischlein losgehen wollte. »Nur die Ru, Her, der is fertik«, dann zog er seine Börse. »Wir zalen das Geld.«
»Ihr Juden dürft gar nicht bewaffnet sein! Das muss ich melden!«, schnaufte der Büttel.
»Und wenn ich Euch einen Gutteil mer geb, damit aless seinen Gang get?« Damit bot Gottschalk dem Büttel einen Schilling an. »Lasst’er uns dann durch?«
Der hagere Mann entspannte sich und griff nach dem Geld. »Reist nur, Judenvolk!«, grinste er dann. »Hin und zurück, so oft ihr wollt. Aber wehe, einer von euch versucht noch einmal, mich zu verprügeln – dann zerhack ich euch!«
»Wir werden’s nit wider tun«, meinte Gottschalk und verneigte
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