Die Lichtermagd
auf und zog sich das Tuch vom Kopf. Sie musste sich setzen, denn ihre Beine zitterten.
»Gebt’s dem Judenpack?«, fragte Fischlein wütend.
»Ich musste ihn überzeugen, Fischlein. Es tut mir leid.«
Auch Gottschalk kam aus dem Wagen gekrochen. »Des hast gut gemacht«, sagte er. »Bereit dir Freide, nit?« Doch seine grauen Augen unter den buschigen Brauen musterten sie jetzt aufmerksamer, fand Luzinde.Wie ein ungebändigtes Pferd, das man im Auge behalten musste, weil man nicht wusste, ob es austreten würde.
Sie gönnten sich eine Ruhepause, denn die hatten sie alle, Menschen wie Tier, dringend nötig. Als sie das Lager wieder
abbauten, um weiterzufahren, hielt Luzinde den Kopf gesenkt. Vielleicht hatte Gottschalk Recht. Es bereitete ihr zu viel Spaß, wenn sie mit den Lügen durchkam.
Nur ein, zwei Wegstunden später erreichten Gottschalk, Fischlein und Luzinde das Städtchen Altdorf. Obwohl man bereits von der Straße reges Markttreiben erkennen konnte, besaß der Ort noch keine befestigte Stadtmauer. Sie zahlten denTorpfennig – ohne, dass einTor da gewesen wäre, aber Gottschalk wagte offenbar nicht, mit dem Büttel zu verhandeln.
»Warum lässt du dir das immer gefallen?«, fragte Luzinde ärgerlich. »Du bist mehr wert als die!«
»De Krischten behandeln uns Jidene nun mal so«, erwiderte der Alte ergeben. »Des farschtet man im Laufe seines Lebens.«
»Aber wünschst du dir nicht, es wäre anders? Du kannst doch nicht zulassen, dass die Leute dich behandeln wie Dreck! Du bist ein reicher Mann!«
Gottschalk sah sie müde an. »Reich? Ja. Aber alles Gold der Welt wird nit endern, was de Krischten von uns denken. Wer haben den Maschiach getetet, sagen se. Wer sind Ungleubige, weil wer das Heil von Jausel dem Krischt nit seen. Dabei sen se nit, was wir sen.«
»Was?«, fragte Luzinde gereizt. Sie hatte keine Lust, jetzt mit Gottschalk über Religion zu diskutieren.
Der Alte blinzelte ins Licht. »Wenn der Maschiach bereits gekumen is, warum is de Welt dan noch so beis?«
Luzinde schluckte eine bittere Antwort hinunter. In einem hatte der Alte Recht – die Welt war wirklich böse.
Sie fuhren in den Ort, um sich nach den anderen Wagen umzuhören. Doch Fischlein kehrte kopfschüttelnd von seinem Erkundungsgang zurück. »Niemand hett was gehert«,
verkündete er. »Weder Josef noch Abraham haben’s her geschafft.«
»Dann missen wer nun wol davon ausgeen«, meinte Gottschalk, »das wer de Einzigen sind.«
»Was mag den anderen wohl zugestoßen sein?«, fragte Luzinde. Das Schweigen, mit dem die beiden Männer der Frage begegneten, war beredt. Luzinde erwähnte auch nicht, dass Ludewich nach nur einem Wagen gefragt hatte. Sie ging davon aus, dass er gewusst hatte, wie viele aus Nürnberg aufgebrochen waren. Das musste bedeuten, dass sie die beiden anderen tatsächlich gefunden hatten.
»Ich denk nit, dass die Reiter se totgeschlaken haben«, sagte Gottschalk schließlich. Doch weiter sprachen sie nicht darüber.
Trotz des aufreibenden Zwischenfalls hielt es sie nicht lange in Altdorf, denn sie wollten das restliche Tageslicht nutzen. Der Karrenpfad schwang sich sanfte Hügel hinauf und hinunter, durch Linden- und Fichtenwälder. Die Gegend war bäuerlich. Zur Sicherheit beschlossen sie, erst in Amberg wieder auf die Laufer Straße zurückkehren, die direkt von Nürnberg über Sulzbach nach Böhmen führte.
Als die Sonne sich bald am westlichen Horizont neigte, war es bereits so kalt, dass Luzinde auf dem Bock fröstelte und ihren Umhang enger um den Körper schlug. Fischlein hielt an einem Haus und bat um Bewirtung für die Nacht. Gegen ein ordentliches Sümmchen erhielten sie einen Platz im Stall. Inzwischen war es so spät, dass Luzinde froh um ein Dach über dem Kopf war. Auch dem alten Mann sah man an, wie müde er war. Zwar schien er an das Reisen gewohnt, doch das Rütteln des Karrens auf der schlechten Straße machte seinen Knochen zu schaffen. Fischlein versorgte das Pferd, und dann machten sie es sich bei den zwei Kühen und unzähligen Hühnern so gemütlich,
wie es eben ging. Nach dem Essen übte Luzinde das Abendgebet. Dann hüllte sie sich mit Stroh in Umhang und Decken ein.
Als sie auf ihrem Lager ein wenig zur Ruhe kam, dachte sie ein letztes Mal über ihre Entscheidung im heutigen Morgengrauen nach. Sie hatte sich für Gottschalk und Jakob entschieden. Und gegen ihren kleinen Hannes, wie sie ihn bei sich nannte. Jetzt, nachdem sie nicht mehr zurückkonnte, merkte sie
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