Die Lichtermagd
dürr und zerbrechlich, als könnte er bei dem Geruckel jeden Augenblick in sich zusammenfallen. Sie konnte nur hoffen, der Ritter würde sie alle sicher nach Prag bringen.
Auch Adams Blick wurde dunkel, als er dem Blick folgte. »Er ist ein feiner Herr, der Gottschalk«, sagte er leise. »Dass er sich in seinem Alter noch so schindet …«
»Manche Dinge sind es wert, sich dafür zu schinden«, erwiderte sie.
»Ja?« Adam blickte erstaunt auf. »Was ist es denn?«
»Ich …« Sie zögerte. Sie wollte Adam nicht misstrauen, doch der Verrat durch Ulman mahnte sie zur Vorsicht. »Ich weiß es nicht genau.«
»Luzinde?« Gottschalk hatte den Kopf gehoben. »Sol ich wider faren?«
»Nein, Oheim. Der Adam hat die Zügel genommen.«
»Des is aber freindlich, Herr Adam.« Der Alte rappelte sich auf und massierte seine Schultergelenke.
»Ich helfe gerne«, erwiderte der junge Mann nach hinten. »Aber warum reist ihr denn nach Prag?«, knüpfte er wieder an das Gespräch an.
Luzinde verfluchte ihn für sein gutes Gedächtnis. »Ich … wir wollen jemanden besuchen«, log sie leise.
»Jemand wichtiges?«
»Ja«, erwiderte sie einsilbig.
»Du musst es mir auch nicht erzählen«, gab Adam zurück.
»Es hat mit dem Herrn Gottschalk zu tun«, meinte sie. Sie belog Adam nicht gerne, denn er war sehr freundlich. »Der hat’s schwer.«
»Ich schätze jeder, der so alt wird, weiß das«, murmelte der junge Gehilfe. »Niemand hat’s leicht im Leben.«
»Herr Gottschalk hat mir etwas Weises gesagt, Adam.« Sie runzelte die Stirn, um sich zu erinnern. »Er sagte, dass in jedem Menschen Gut und Böse wohnen. Die Wahl liegt am Ende nur bei einem selbst. Er sagt, der leichte Weg führt immer zum Bösen. Für das Gute muss man sich jeden Tag neu entscheiden.«
Adam sah erstaunt auf. »Mein Vater sagte auch so was. Er sagte ›die Entscheidungen machen den Mann, nicht der Mann die Entscheidungen‹.«
Luzinde runzelte die Stirn. »Ich glaube, das sagt eher das Gegenteil.«
»Wirklich?«
»Ich glaube, es ist nur wichtig, zu begreifen«, schloss sie unsicher, »was man aus seinem Leben machen will.«
Adam lächelte, und Luzinde war ganz erstaunt, wie sehr diese Miene sein einfaches Gesicht aufhellte.
»Da hast du wohl Recht«, meinte er.
Stunden später erreichten sie Püchersreuth in den letzten Strahlen des Abendlichtes. Luzindes Augen fielen zu, sobald ihr Kopf das einfache Lager auch nur berührte.
Der nächste Reisetag trug sie hoch in die Wälder, die die Oberpfalz von Böhmen trennten. Den ganzen Vormittag nieselte es, so dass Mensch und Tier nass und frierend vor sich hin schlurften. Die Hohlwege bei Bärnau waren so aufgeweicht, dass der Esel seinen Karren nicht mehr allein ziehen konnte. Adam musste oft schieben, um dem Gefährt aus dem Schlamm zu helfen. Luzinde war kalt und elend zumute. Das Einzige, was sie vom Jammern abhielt, war die Tatsache, dass der alte Gottschalk sich niemals beklagte.
Erst gegen Mittag klärte sich der Himmel auf. Östlich der mauerlosen Stadt Bärnau kämpften sie sich eine Steigung auf den Steinberg hoch. Die Tiere mussten sich noch den Hang hinauf quälen, obwohl jede verfügbare Hand anpackte und schob. Der schwere Händlerkarren steckte einmal so fest, dass sie die Hilfe eines ihnen entgegenkommenden Gespanns benötigten. Die Bergleute schirrten einen ihrer Ochsen von dem mit Silbererz beladenen Fuhrwerk aus, um Seiferts Wagen wieder aus dem Dreck zu ziehen. Schließlich erreichten sie völlig erschöpft einen kleinen Unterstand, der auf der Kuppe an einem Abrutsch stand. Er hielt trockenes Holz für Wandersleute und sogar einige getrocknete Kräuterbüschel für wärmende Tees bereit. Luzinde entzündete ein Feuer unter dem Vordach, hängte einen Kessel in den Haken darüber und schnupperte sich durch die Kräuter, um schließlich Minze,Vervene und Salbei auszuwählen, sowie eine Handvoll Johanniskraut, um die Stimmung aufzubessern. Während Bruder Ambrosius und die böhmische Familie den Tee wortlos ablehnten, nahmen die anderen
das Getränk gerne an. Luzinde hängte die feuchten Umhänge und alle Kleider, die man gerade entbehren konnte, ans Feuer und wärmte sich dann selbst daran. Danach beschloss sie, die Kräuterbestände, über die sie sich so gefreut hatte, zu ergänzen. Auch andere Reisende würden sie willkommen hei ßen. Ihre steifen Gliedmaßen benötigten dringend Bewegung. Zwar blühte im November kein Johanniskraut, doch Baldrian, Enzianwurzel,
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