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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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einen Tag früher oder später bestellte. Es gab nur die eigenen Kinder, Eltern und das Gesinde zu füttern. Und am Ende des Tages wusste man, was man getan hatte. Und warum.
    Besonders diese moralische Eindeutigkeit, so gestand sich Ulman ein, ließ das einfache Leben auf ihn am verlockendsten
wirken. Einem Bauern waren Entscheidungen fremd, die er später bereuen würde. Er kannte nur harte Arbeit, Essen und Schlaf.
    Ulman war sich bewusst, dass seine Müdigkeit ihn zum Grübeln brachte. Der Reisetag war anstrengend gewesen, besonders, da Götz Scheffein darauf gedrängt hatte, dass sie gleich von Beginn an einen gehörigen Vorsprung gewinnen sollten. Dass Gottschalk es an Ludewich und seinen Söldnern vorbei geschafft hatte, war ärgerlich genug. Damit hatte niemand gerechnet. Nun machten Luzinde und er ihnen auch noch Druck, was die Reise nach Prag anging. Doch es durfte nicht zu einem Wettrennen kommen; auch durfte der Jude nicht eher beim König anlangen. Etwas musste geschehen.
    Ulman machte unten im Tal eine Bewegung aus. Er stellte sich in den Steigbügeln auf und blinzelte, um etwas erkennen zu können. Kroch da der Wagenzug um Ritter Wenzel durch das Land? Er mochte sich täuschen. Falls ja, käme die Gruppe mit ihren Wagen und Fußgängern schneller voran als erwartet. Wie es Luzinde wohl ging?
    Ärgerlich schob Ulman diesen Gedanken beiseite. Doch es war zu spät. Die Müdigkeit, die ihn erfasst hatte, war wohl weniger körperlich als seelisch, denn wenn er an das Mädchen dachte, dann rangen erschöpfend viele Gefühle miteinander. Er dachte daran zurück, wie er sich nach der Konfrontation im Lochgefängnis gefühlt hatte. Hätte ihn ein Brauereifuhrwerk überfahren und mitgeschleift, er wäre nicht zerschlagener gewesen. Gleichzeitig kehrte die alte Wut zurück, die er damals empfunden hatte.Wut auf Luzinde, auf ihre Lügen, auf Hosto, der ihn zu solchen Dingen zwang; auf Gott und die Welt, dass er Ulman Stromer war, und nicht irgendein unbedeutender Bauer aus Sulzbach oder Hirschau … Nein, vermutlich richtete sich ein Hauptteil seiner Wut gegen ihn selbst. Dafür, dass
das Leben so kompliziert war und er solche Entscheidungen treffen musste.
    »Ulman«, erklang Götz Scheffeins Stimme. »Gibt’s da unten was zu sehen?« Ulman schüttelte nur den Kopf. Er hatte sich die Bewegung sicher nur eingebildet.
    »Können wir dann weiter? Wir schaffen vor Sonnenuntergang vielleicht noch ein paar Meilen.«
    »Ich bin müde, Götz, und die Tiere auch. Wir sollten rasten.«
    »Rasten können wir in Prag, Junge. Wenn wir’s uns vorher zu gemütlich machen, wird unser Problem nur größer.« Er wies mit dem Kinn den Weg zurück. »Die Juden werden nicht trödeln, und wer weiß, vielleicht verleiht der Teufel ihnen ja Flügel.«
    »Nur Gottschalk ist das Problem«, korrigierte Ulman. Scheffein wusste nicht, dass Luzinde die Zeugin ihres leichtsinnigen Gesprächs in Sankt Laurentius war. Der jüngere Mann wollte es auch dabei belassen.
    »Ein Problem, das beseitigt werden kann. Du weißt, was dein Oheim gesagt hat.«
    Oh ja, Ulman erinnerte sich nur zu gut an Hostos Worte. Das ist deine Gelegenheit, dich zu beweisen, Ulman. Du musst vor Gottschalk in Prag sein. Du musst Karl auf unsere Seite bringen und erfolgreich nach Nürnberg zurückkehren.
    Doch Götz hatte offenbar andere gemeint, denn er zitierte nun: »Lasst den alten Kerl damit nicht durchkommen!, hat er gesagt, Ulman! Und du weißt, was dein Onkel uns damit sagen wollte, nicht wahr?«
    Ulman nickte bloß. Auf einer Reise konnte viel geschehen. Unfälle waren nicht selten. Und der Zorn der Bevölkerung richtete sich gerade gegen Juden … Diese Gedanken machten ihn ganz rastlos. Jetzt musst du zeigen, was du bereit bist für
die Familie zu tun, Ulman. Du schreibst jetzt selbst deine Zukunft, hatte Hosto noch gesagt. War er fähig zu tun, was sein Oheim von ihm forderte?
    Doch insgeheim kannte Ulman die Antwort bereits. Er hatte schon Luzinde aus seinem Herzen gerissen. Nichts, was die Familie von ihm verlangte, könnte ihn mehr erschüttern.

KAPITEL 16
    A m vierten Tag ihrer Reise schmerzte Luzinde jeder Muskel im Körper. So war es ihr zumindest vorgekommen, als sie am Morgen aus dem Kastenbett gestiegen war und die steifen Glieder gedehnt hatte. Der Novemberregen war in der Nacht durch das Dach getropft und hatte das Stroh ihres Lagers feucht werden lassen, so dass sämtliche Decken und Kleidungsstücke klamm waren. Besorgt hatte sie dem

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