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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Klettenwurzel – die auch gegen Gottschalks Gicht guttäte – sowie Wacholderbeeren gegen Husten würde man vielleicht finden.
    Also streifte Luzinde durch den nahen Wald, stets hügelan. Die Tannenzweige trieften nur so vor Regen, der bei der kleinsten Erschütterung in glitzerndem Schauer herabfiel. Der vollgesogene Boden federte jeden Schritt ab, nur das Knacken schmaler Zweige oder das Quatschen der Holzschuhe war zu hören. Trotz der Kälte duftete der Wald intensiv nach Harz.
    Schließlich erklomm Luzinde die Spitze des kleinen Hügels, an dessen Flanke die Reisegruppe gerade rastete. Der Magd in Judenkleidern verschlug es den Atem, als sie über das Land schaute. Dunkelgrüne, tiefe Wälder wechselten sich mit lichten Tälern ab, durch die kleine Flüsse drängten. Der Blick reichte nicht sehr weit, denn Schleier aus Regen oder Nebel verhängten den Tag. Die Sonne selbst war kaum zu sehen, doch das Zwielicht verlieh dem Wald ein merkwürdiges Glühen.
    Als Luzinde sich dem dunklen Wald hinter sich zuwandte, sah sie ein Flackern. Sie näherte sich neugierig, und bald erkannte sie einen kleinen moosbewachsenen Schrein aus Holz. Ein verwittertes Marienantlitz an der Außenwand sah nach Osten. Das Herz der Magd öffnete sich. Hier draußen, in der Wildnis, würde niemand bemerken, wenn die Jüdin ein Gebet an einem Christenschrein tat. Und unter dem Schutz der Gottesmutter konnte sie für das Glück und die Gesundheit der lieben
Freundin Anna und deren kleinen Sohn beten, sowie für den eigenen, den sie nicht kannte. Sie zog den Luzienanhänger, den sie niemals ablegte, aus dem Ausschnitt und küsste ihn. Sie vermisste die heilige Messe, als läge die letzte ein halbes Leben zurück. Schnell schritt sie um die Wände herum, um den Unterstand zu betreten und dort ein kurzes Gebet zu sprechen.
    »Was willst du hier?«, fragte Wenzel stirnrunzelnd. Der Ritter kniete vor dem Schrein der Gottesmutter und hatte eine Kerze entzündet – das Licht, das Luzinde gesehen hatte.
    »Ich -«, Luzindes Hand flog zur Brust, um das Amulett der Luzia zu bedecken. Sie schob es vorsichtig wieder unter ihr Gewand. »Ich wollte der G – der Mutter eures Heilands – meinen Respekt zollen«, erwiderte Luzinde. »Eine Freundin – Anna – ist ihr sehr verbunden. Darum bin ich hier, ich – ich hatte nichts Böses im Sinn, Herr.«
    Der Ritter erhob sich und musterte sie. »Ich dachte, ihr Juden glaubt nicht an Jesus Christus?«
    Die Magd geriet ins Schwitzen. Sie musste ihre Tarnung aufrechterhalten, sonst würde sie in noch größere Erklärungsnot geraten. Doch den Erlöser verneinen? Das konnte sie nicht. »Die Juden … erwarten die Ankunft des Messias noch, Herr«, erwiderte sie zögernd, und bat Christus stumm um Vergebung.
    »Das heißt, du kennst die Bibel nicht?«
    Luzinde wand sich innerlich. »Die Tora … das ist das Alte Testament«, murmelte sie und war froh um alles, was sie bei Jakob gelernt hatte. »Das Neue hingegen -«
    »- bezieht sich auf Jesus Christus, den Erlöser. Und wenn ihr seine Existenz verleugnet, anerkennt ihr auch die Schriften nicht.«
    Die Magd nickte mulmig. Nie hatte sie dringender das Bedürfnis empfunden, von ihren Sünden losgesprochen zu werden.

    »Bruder Ambrosius sagt, ihr Juden seid verstockt und unbelehrbar. Ich glaube fast, er hat Recht.Wie kann man das Wesen von Jesus Christus leugnen? Jeder weiß doch, dass er Gottes Sohn ist.«
    Stumm gab Luzinde dem Ritter Recht. Sie schwieg und sah zu Boden.
    »Dabei seid ihr des Königs eigene Kammerknechte.«
    »Aber wenn’s doch so schlimm wäre, würde der König uns doch nicht schützen, oder?«, wagte Luzinde einzuwerfen.
    »Ich weiß nicht. König Karl ist ein seltsamer Mann. Er ist kein Ritter wie sein Vater, oder wie Kaiser Ludwig es war. Er gibt mehr auf Zahlen und Pläne denn auf Ehre und Gottvertrauen.«
    Luzinde hielt die Luft an. Hatte Wenzel gerade des Königs Glaubensfestigkeit bezweifelt? In den falschen Ohren konnte das in einer Anklage wegen Hochverrats münden. Der Herrscher war nicht nur Souverän, sondern auch oberster Gesetzgeber und Richter. Außerdem ließen solche Worte aus dem Mund eines Gefolgsmanns des Königs nichts Gutes ahnen. Dem Ritter schien die Bedeutung seiner Worte selbst aufzugehen. »Ich meine – also, natürlich will ich den Glauben des Königs nicht infrage stellen.«
    Erstaunt stellte die Magd fest, dass der Ritter errötete. Das lange braune Haar fiel ihm auf die Schultern und ließ ihn sehr jung wirken.

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