Die Lichtermagd
graugesichtigen Gottschalk geholfen, sich in seine Kleider zu mühen. Noch jetzt, als sie auf der Straße nach Weiden fuhren, hielt er seinen Rücken in Schonhaltung ein wenig krumm. Auch die gichtigen Fingergelenke, die die Zügel hielten, waren stärker geschwollen als sonst. Der alte Mann wirkte schon zu Beginn des Tages am Ende seiner Kräfte.
Unwillkürlich stellte Luzinde sich die Frage, ob er es überhaupt bis Prag schaffen würde. Was, wenn er auf halber Strecke siech wurde? Doch sie schüttelte diese düsteren Gedanken ab. Vermutlich drückte sie nur der morgendliche Novembernebel, der das Sonnenlicht nur als diffusen Schleier auf die Erde fallen ließ und jegliches Geräusch um sie herum erstickte. Sie kam sich vor, als hätte jemand sie in ein Nebelreich verwünscht, aus dem es kein Entkommen gab.
Das Schnauben des Streitrosses durchbrach dieses bittere Trugbild. Neben ihr tauchte geisterhaft der Kopf des dunklen Pferdes auf, das auf seinem Zaum kaute. Das leise metallische Rasseln von Ritter Wenzels Kettenhemd und das Klappern seines Schwertgürtels waren durch die Schwaden erst spät zu hören. Sie blickte auf und lächelte den Mann an. Sie war
froh, dass sie in seinem Geleitschutz reisen durften. Doch Wenzel nickte ihr nur zu, trieb sein Pferd mit den Sporen voran, so dass es einige Galoppsprünge machte, um sie zu überholen.
Luzinde sah Wenzel nach, als er mit seinem Tier schnell vom Nebel verschluckt wurde. Sie fröstelte und zog den Umhang enger um den Leib. Sie musste sich erst noch daran gewöhnen, dass die Menschen sie mit mehr Distanz behandelten als früher, nur weil sie einen Schleier mit blauer Borte über dem Kopf trug.
Der Rest der Reisegruppe ließ den Alten und seine vermeintliche Großnichte fast ganz außer Acht, als sie am Morgen über den Höllberg zogen und sich eine von bestimmt drei oder vier Hohlwegtrassen über den Berg auswählten. Neben dem Ritter zogen noch verschiedene Leute mit ihnen nach Osten. Der auffälligste war Bruder Ambrosius, ein Franziskaner, der mit Wenzel freundschaftlich verbunden zu sein schien, denn sie beteten viel miteinander. Der drahtige junge Mönch musterte Luzinde misstrauisch, ja beinahe herausfordernd, wann immer sie ihn ansah. Er predigte in allen Pausen, die Gottschalk zum Gebet nutzte, lautstark gegen dessen leisen schunkelnden Singsang an. Ganz anders der rundliche Händler namens Seifert und sein Gehilfe Adam, die beide immer mal wieder neugierig herüberäugten und auch schon freundlich lächelten, wenn sich die Blicke begegneten. Sie waren mit einem vollbeladenen Eselskarren unterwegs. Ein böhmischer Reisender, dessen Sprache und Namen Luzinde kaum verstand, war mit seiner blassen Frau und drei jungen Kindern per Ochsenkarren auf der Straße. Das vierte Kind war noch so klein, dass die Mutter es vor den Leib geschnürt trug. Diese Familie bewahrte stets einen Sicherheitsabstand zu Gottschalk und Luzinde, und die Kinder liefen einmal sogar weinend in den Schutz ihres
Vaters, als Luzinde sie ansprach. Schließlich machten die Familienmitglieder das Zeichen gegen den Bösen Blick, wann immer sie hinübersah.
Während einer Pause setzte Luzinde sich erschöpft nieder. Sie waren bei gutem Tempo bereits an Weiden und Altenstadt vorbeigezogen, und Gottschalk ruhte, in Decken und Mäntel gehüllt, an einem Baumstamm. Sie hockte sich daneben. Die Landschaft um sie herum war atemberaubend. Luzinde hatte nun, da die nachmittägliche Sonne die Wolken und den Nebel vertrieben hatte, einen halbwegs klaren Blick die weiten Hügel hinauf. Allesamt mit dunklen Wäldern bekränzt, waren sie aus der Ferne wunderschön anzuschauen. Als Luzinde gen Nordosten blickte, wo sich ihre Straße dem Blick bald entzog, empfand sie die Landschaft bald nur noch als düster, denn die Vorstellung, tatsächlich einen Fuß in die hohen Wälder setzen zu müssen, barg mehr Schrecken als Vorfreude.
»Der Rest des Weges heute wird noch anstrengender«, erklang eine Stimme neben ihr. Wenzel, der eben noch mit Ambrosius gesprochen hatte, war herangetreten. Jetzt schweifte sein Blick über die Landschaft. »Es wird noch steiler.«
»Das habe ich mir wohl gedacht, Herr«, erwiderte sie.
»Werdet ihr das schaffen?«
»Aber ja, wir schaffen das. Gottschalk auch.« Sie fürchtete schon, er würde das bezweifeln und sie zurücklassen.
»Das will ich wohl hoffen«, sagte der Ritter. »Auf der Strecke sollten wir nicht trödeln.«
Sie nickte erleichtert. Eile hatten Gottschalk und
Weitere Kostenlose Bücher