Die Lichtermagd
Sie atmete ein paar Mal tief durch, doch es brauchte eine Weile, bis sie sich beruhigt hatte.
Als sie das Gespräch mit Wenzel noch einmal im Geiste durchging, erinnerte sie sich an die Unterhaltung über den König. Die alten Sorgen kehrten zurück.
»Gottschalk?«
»Ja, Luzinde?«
»Kennst du den König gut?«
Der Alte wog den Kopf hin und her. »Nit sonderlich, nein.«
»Wird er dir helfen?«
»Des seen wer, nit? Ich hoff schon. Mit deinem Zutun.«
Sie dachte an Wenzels Worte über den Herrscher. »Meinst du denn, da ist noch Hoffnung?«
Nun zuckte der Alte mit den Schultern. »Karl hat uns Schutz geschwor’n. Und es is des Rechte.«
Luzinde war des Hoffens müde. »Du glaubst wirklich an das Gute im Menschen, nicht wahr?«
»Des tu ich, Meidel. Jeder hat’s. Manchmal, da muss man nur ein wenig suchen.«
Die Magd dachte über Gottschalks Worte nach. Nach allem, was sie bislang erlebt hatte, bezweifelte sie diese Theorie.
Sie reisten bald wieder bergab, durch ein steil eingeschnittenes Flusstal. An vielen Stellen zeugten bis zu acht Ellen tiefe Hohlwege von der regen Nutzung der Straße. Immer wieder lugte Luzinde zu den hohen Wegrändern hinauf und fürchtete, dass Ulman die Einsamkeit nutzen würde, um sie aufzuhalten. Doch ihr Verdacht bestätigte sich nicht.
Und so atmete sie auf, als sich die Reisegruppe am Abend Tachau näherte. Der graue Himmel hatte sich den Nachmittag über nur wenig aufgehellt, so dass sämtliche Kleidungsstücke klamm und feucht blieben. Allein die Bewegung hielt Luzindes Körper warm, und sie dankte Gott dafür, dass sie ihre Gewänder bald an einer Feuerstelle trocknen und eine wärmende Mahlzeit bekommen könnten. Offenbar dachten die anderen ebenso, denn das Tempo der Gruppe erhöhte sich spürbar.
Das langgestreckte Ufer des Sees, der die Luft noch mehr abkühlte, begleitete den Weg eine ganze Weile. Fischreusen im Teich, brachliegende Felder und gebrochene Wagenräder deuteten auf Bewohner hin, und tatsächlich wich der Wald bald zurück. Die Hügel, auf denen sie die letzten Stunden auf und ab marschiert waren, senkten sich endlich, und der kleine Ort lag mit rauchenden Schloten unter ihnen. Darüber thronte eine königliche Burg.
Ritter Wenzel suchte ihnen im Herzen des Ortes ein altes Wirtshaus, das an einer Kreuzung zweier viel befahrener Stra ßen lag.Tatsächlich war das Haus bereits so alt, dass die hölzernen Balken und Wände sich bedenklich bogen. Drinnen sah es nicht besser aus – dieTische waren schwarz vor Alter und klebrig vom Bier, aus der Feuerstelle quoll die alte Asche, und die schräge Stiege ins Obergeschoss hinauf zu den Lagern wirkte wenig vertrauenerweckend. So war Luzinde dann auch gar nicht unglücklich darüber, als der Wirt knapp verkündete, es hätten nicht alle Platz im Haus, Gottschalk und sie müssten im
Stall übernachten. Davor hatten sie auch ihren Karren untergestellt.
Doch zunächst setzten sie sich in den Schankraum und wärmten sich von innen und außen. Es gab heißes Honigmet, Hafergrütze mit Speck – den Gottschalk heraussammelte, und auch Luzinde ließ des Anscheins wegen ein paar Stückchen zurück – sowie Brot. Die Plätze um die Feuerstelle waren zwar bereits besetzt, doch selbst in der zugigen Nähe des Ausganges war es noch angenehmer als draußen. Die Menschen hier beäugten sie allerdings merkwürdig.
Als der Händler Seifert und sein Gehilfe Adam von der Messe kamen, setzten sie sich zu ihnen anstatt zu den anderen Reisenden. Dankbar unterhielt Luzinde sich mit ihnen über Metallwaren und Werkzeug, obwohl sie an beidem kaum Interesse fand. Erst als Gottschalk sich schließlich erhob, um sich zur Nacht zurückzuziehen, wollten sich die beiden zu den anderen Reisegefährten gesellen. Die Nähe zu den Juden brachte ihnen von Bruder Ambrosius finstere Blicke ein. Der Ritter begegnete ihrem Blick nicht, und Luzinde wusste nicht, was sie nach seiner Anklage beim Schrein von ihm halten sollte.
»Soll euch nicht doch jemand begleiten?«, fragte Seifert zum Abschied.
»Nein, Her Seifert, de Leut gucken schon«, sagte Gottschalk. »Des wird nit netig sein.«
»Dann wünsche ich eine gute Nacht.«
Luzinde trat vor die Tür. Die Kälte der Nacht sorgte dafür, dass der Atem zu Nebelwolken gefror. Auch der Dunst der Mies, des Flusses, der durch Tachau floss, bildete helle Schwaden. Die Magd sah wehmütig zu dem Kirchturm herüber, der sich massiv über den Dächern des Ortes erhob. Wann immer sie ein Kruzifix sah,
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