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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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da wirkte das Innere, trotz einiger Statuen und Verzierungen, auch nur halbfertig. Kurz überlegte die junge Frau, ob sie in eine andere Kirche gehen sollte – ein oder zwei Kirchtürme hatte sie noch über den Dächern gesehen -, doch sie entschied sich dafür, zu bleiben. Das passte zu ihr: eine halbe Kirche für eine halbe Christin.

    Dank der Gerüste in der Kirche wirkte die Halle erdig und eng, die Säulen noch roh und unfertig. Der Lehm an den Wänden verlieh der Luft eine Muffigkeit wie in einem schlecht belüfteten Keller. Luzinde wunderte sich darüber, dass ein so riesiger Marktplatz einer offenbar gut betuchten Handelsstadt wie Pilsen eine so kleine Kirche beherbergte – aber vielleicht standen genau deshalb die Baulager draußen. Sie ging leise durch die Halle nach vorne, zum Altar, der nur wenig vom Mondlicht beschienen war, da die Fenster teilweise farbig oder von Gerüsten zugestellt waren. Auf dem Altar brannte eine Kerze.
    Zuerst bekreuzigte sich die Magd. Dann sah sie nach oben, um herauszufinden, welchem Schutzpatron diese Kirche geweiht war. Sie hatte ja insgeheim auf die Heilige Mutter Maria gehofft. Doch die Fresken wiesen auf einen der Jünger Jesu Christi hin: den heiligen Bartholomäus, jenen Mann, der nach Jesu eigenen Worten ohne Falsch gewesen war. Man musste wahrhaft heilig sein, um immer die Wahrheit zu sagen. Selbst wenn man sich bemühen wollte, nicht zu lügen – welcher Mensch kannte sich selbst so genau, sah sich mit eigenen Augen so unverstellt, dass er immer aussprach, was er dachte und meinte? Unter solchen Augen fühlte die Magd sich noch kleiner und schuldiger, als das ohnehin der Fall war.
    Trotzdem kniete Luzinde sich auf den kalten und dreckigen Boden. Sie faltete die Hände und breitete ihre Verfehlungen vor Gott aus. Jetzt erst sah sie, wie viele sich im Laufe ihres Lebens und dann in jener kurzen Zeit angehäuft hatten, seit sie das Beginenhaus in Pillenreuth verlassen hatte. Am heißesten aber brannte ihr auf der Seele, dass sie gegenüber dem Ritter Wenzel ihren Glauben verleugnet hatte.Wie viele Geschichten gab es in der Bibel, in der Heilige für das Wort Gottes starben und dafür mit himmlischer Seligkeit beschenkt wurden? Zum
Beispiel die heilige Katharina, die sich geweigert hatte, Götzenopfer zu bringen, und dafür gefoltert worden war.
    »Ich bin halt keine Heilige«, murmelte sie unter Tränen. Sie betrachtete auch die anderen Wandmalereien, die sieben Kreuzwegstationen darstellten. Da war die Geißelung Jesu durch Pilatus, die Dornenkrönung, seine Verurteilung, Jesus mit dem Kreuz, dann Simon von Kyrene, der ihm das Kreuz abnimmt. Wieder Simon, der neben Jesus das Kreuz trägt, und schließlich die Kreuzigung selbst auf dem Berg aus Totenschädeln. So gut wie auf allen Bildern sah man Juden mit ihren charakteristischen Hüten und Mänteln, wie sie Jesus verfluchten und mit Steinen nach ihm warfen. Die Juden hatten den Heiland ermorden lassen. Hatte Luzinde an seinem Namen doch gefrevelt, indem sie sich als Jüdin ausgegeben hatte? Sie sah in die vor Hass undWut entstellten Gesichter der Juden auf der Wand und raufte sich weinend die Haare.Wie konnte sie das nur wiedergutmachen? Sie konnte sich schlecht in eine Beichte schleichen, weil sie eine Sünderin war, und dort nur einen Teil der Wahrheit offenbaren, um die Absolution zu erhalten.
    Doch Luzinde fand auch Trost in den Bildern. Johannes, Maria und Maria Magdalena waren allgegenwärtig. Sie weinten über das Schicksal des Heilands und ertrugen doch alles sehenden Auges. Das waren Heilige, die dem Schmerz ins Gesicht sahen und doch die Augen nicht abwenden konnten.Wie klein man sich in solcher Gesellschaft fühlte!
    Nein, Luzinde war keine Heilige, sie war eine einfache Sünderin. In den zuckenden Schatten der dicken Altarkerze erschien es ihr auch beinahe, als sähe Bartholomäus vorwurfsvoll von der Wand herunter. Ihr Blick kehrte zu Simon von Kyrene zurück, der Christus das Kreuz tragen geholfen hatte. Warum hatte das nicht Johannes getan, der ihn doch so geliebt hatte? Warum hatte ein völlig Fremder so viel Mitleid mit dem Heiland
gehabt, dass er ihm seine Bürde erleichterte? Woher war Simon gekommen? Doch das war nicht wichtig. Jesus war doch selbst Hebräer. Und nun stritten Christen und Juden miteinander, ob er der Retter der Welt sei oder nicht. Sie trocknete ihre Tränen. Sie war zwar keine Gelehrte, doch eine Antwort gab das Bild des Leidensweges Christi: Sie durfte ihren Gott nicht

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