Die Lichtermagd
enttäuschter Blick fraß sich in ihr Gedächtnis und brannte sich dort fest. Ja, sie hatte ihn belogen. Nach allem, was der Mann wusste, hatte sie sich unter Lügen in sein Haus geschlichen, um seine Gastfreundschaft auszunutzen. Kein Gottschalk war da, um alles aufzuklären und sich vor sie zu stellen. Luzinde war nun ganz allein.
Eine Träne kroch ihr in den Augenwinkel und glitt über ihre Wange. Sie wischte sie schnell fort, denn wo die Flüssigkeit auf der Haut saß, biss der Frost noch härter zu. Nun war sie endgültig heimatlos.
Die Kälte kroch ihr in die Glieder. Sie starrte in die Finsternis der Nacht und weinte nur noch mehr. Hier saß sie nun und wusste nicht, wo sie die nächste Mahlzeit oder Feuerholz herbekommen sollte. Der Winter hatte sich grimmig angekündigt, und es würde vielleicht wieder frieren. So mancher Bettler hatte sich bei dem Wetter hingesetzt und war nie wieder aufgestanden.
Als sie den Umhang Gottschalks enger um den Leib stopfte, hörte sie ein leises Klicken. Sie bewegte den Umhang noch einmal, und da war es wieder – ganz sacht schlugen harte Kiesel oder Steinchen aneinander. Sie tastete am Saum des schweren Mantels und erfühlte Widerstände, wie kleine Perlen, die
in den Stoff eingenäht waren. Ganz aufgeregt ertastete sie die Menge der Huckel. Handelte es sich dabei um Gottschalks geheimen Reichtum, den er König Karl darzubieten gedachte? Wenn ja, dann mussten das Edelsteine sein, die sicher mehrere Tausend Pfund Haller wert waren! Ihr Herz schlug schneller. Vielleicht war die Situation doch nicht so verfahren? Sie prokelte den Saum auf und schob eine der Murmeln aus dem Stoff heraus. Und siehe da – das rund geschliffene Kleinod wirkte selbst im Dunklen kostbar. Vielleicht war es ein Saphir, oder ein Rubin – sie konnte die Farbe nicht erkennen. Der Größe nach könnte er die Krone eines Fürsten zieren.Was für einVermögen besaß sie da auf einmal? Sie hatte für den Rest ihres Lebens ausgesorgt!
Doch nach dem Glücksrausch dieser Erkenntnis kamen die Zweifel. Dies war vermutlich das Geld der Juden von Nürnberg. Sie wollten damit ihr Leben und ihren Besitz von König Karl freikaufen.Wenn sie nun mit den Edelsteinen verschwände, dann würde deren Blut an ihren Händen kleben. Könnte sie einen solchen Verrat begehen? Würde sie sich nicht ewig dafür hassen? Sie kannte die Antwort, und sie wusste, dass sie mit dieser Schuld nicht würde leben wollen. Ihre Hoffnung erlosch so schnell, wie sie aufgeflackert war.
»Wenn man hoft, gibt’s imer was, des man tun kan, Luzinde.« Die brüchige Stimme Gottschalks drang beinahe geisterhaft an ihr Ohr. Und damit fasste Luzinde einen Entschluss. Natürlich, sie konnte bleiben und in Pilsen betteln. Vielleicht würde sie gar den Winter überleben. Sie konnte mit dem Geld von Gottschalk zurück nach Nürnberg gehen und Mose und Rebekka die doppelt schreckliche Nachricht vom Tod ihres Vaters und vom Versagen seines Botenganges überbringen. Doch all das hieße, die Suche aufgeben und sich wie eine Ratte hinter dicken Mauern vor der Welt verkriechen. Nein, das war der
leichte Weg, jener, der sie weniger Mut und Mühe, aber ihr ganzes Gewissen und ihren Respekt vor sich selbst kosten würde. Hatte Gottschalk das gemeint, als er sagte, der leichte Weg führe zum Bösen? Wenn sie schon für sich kaum noch Hoffnung hatte, dann konnte sie wenigstens versuchen, Gottschalks Wunsch zu erfüllen – sie würde nach Prag zu König Karl gehen und ihn um Schutz für die Juden von Nürnberg bitten. Der alte Mann war gut zu ihr gewesen, obwohl ihn nichts dazu verpflichtet hatte. Im Gegenteil, er hatte sich das Leben in seinem Haus durch Luzinde nur schwerer gemacht. Nun konnte sie sich für diese Güte bedanken, indem sie den Gang beendete, den er selbst nicht mehr gehen konnte.
Die Anzahlung auf das Geld der Juden von Nürnberg für König Karl war gesichert. Zwar besaß sie nicht das Verhandlungsgeschick des alten Mannes, doch sie konnte ungefähr sagen, wie viel die Juden für den Schutz des Königs bezahlen würden. Sie könnte immerhin versuchen, mit dem König zu reden!
Das schiere Ausmaß dieses Vorhabens raubte Luzinde für einen Augenblick den Atem. Sie würde zum König gehen, sie würde ihm gegenüberstehen und ihn bitten, sich auf die Seite der Juden zu stellen. Und dann würde sie versuchen, seine Gunst zu kaufen. Die Magd musste unwillkürlich schmunzeln. Sie war sich unsicher, ob es gelänge. Doch sie wusste, wenn sie jetzt
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