Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
ließ. Sie erkannte, wie verletzlich Wenzel in diesem Augenblick war, wie wund seine Seele vor ihr lag. Er tat ihr unendlich leid. Sie hatte aber auch noch nie etwas so Ergreifendes gesehen.
    Der Moment verflog. Wenzel blinzelte die Tränen fort und senkte den Blick. Doch er hielt sie noch immer fest. »Du bist keine Jüdin.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Immerhin hatte sie gerade das Credo gesprochen, das christliche Glaubensbekenntnis.
    »Nein.«
    »Warum tust du so?«
    Luzinde zögerte nicht. Die Zeit war reif für die Wahrheit. »Ich musste mit Gottschalk nach Prag gelangen. Und eine Christin, die mit einem Juden reist – das geht nicht.«
    »Nein«, murmelte er. »Was willst du in Prag?«
    »Ich will zum König.«

    »Zum König?« Jetzt besaß sie seine volle Aufmerksamkeit. »Was willst du beim König?«
    Sie senkte den Blick. Würde er das verstehen? Sie wusste es nicht. »Ich will für die Juden von Nürnberg bitten. Man droht ihnen Gewalt an.«
    Das verschlug dem Ritter offenbar für einen Moment die Sprache. »Warum du?«, fragte er dann.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Weil es niemand anderen mehr gibt, der es an meiner statt tun könnte.« Schließlich setzte sie noch hinzu: »Und sie ihrem Schicksal überlassen, kann ich auch nicht. Das …«, sie wollte es ihm erklären, wollte es ihm verständlich machen, doch sie fand nicht die rechten Worte. »Das kann ich nicht«, wiederholte sie einfach.
    Er schwieg wieder. »Ja«, meinte er dann, »trägt man einmal die Last der Verantwortung auf seinen Schultern, ist sie schwer wieder abzulegen.«
    »Das ist sie«, sprach sie leise. Jetzt verstand sie, warum sie Gottschalk begleitet hatte. Sie fühlte sich verantwortlich für das Schicksal ihrer Freunde.
    »Du willst also zum König, wie?« Er drückte ihre Hand noch einmal. »Schwörst du beim Herrn Jesus Christus, dass du nichts Übles im Schilde führst?«
    Luzinde legte die freie Hand aufs Herz. »Ich schwör’s, beim Herrn Jesus Christus! Ich führe nichts Übles im Schilde. Und das ist die Wahrheit.«
    Der Ritter nickte erleichtert. »Dann sollst du zum König kommen.« Damit entließ er ihre Finger. Luzinde vermisste die Berührung beinahe.
    Mit den ersten Strahlen des Morgens trat Luzinde hinaus. Der Schnee hatte ihre Spuren bereits wieder getilgt und kleidete das Land in einen weißen Pelz. Der Ritter folgte ihr auf dem Fuße. Er hatte das Feuer gelöscht und sperrte die Schmiede
zu. Bevor er sich umwandte, lehnte er sich für einen Augenblick gegen die Tür, als wolle er hineinhorchen, oder als könne sie ihm ein Geheimnis anvertrauen. Dann wandte er sich um. »Werden wir die Krankheit mit uns führen?«
    »Ich glaube nicht. Es ist nicht der Schwarze Tod – und hätten wir uns damit geschlagen, wären wir ebenfalls schon geschwächt.«
    Und so brachen sie auf. Am neunten Tag reiste Luzinde zu Pferd. Der Ritter setzte sie hinter sich auf sein dunkles Ross und schlug ein zügiges Tempo an. Sie hielt sich an ihm und seiner unförmigen, kalten Rüstung fest und ließ das Geruckel und Gezuckel über sich ergehen. Sie ließen Horowitz noch am Morgen hinter sich. Trotzdem schien die letzte Strecke nach Prag länger zu dauern als die ersten acht Reisetage zusammen, denn Luzinde begann in ihrer Aufregung zu zweifeln. War es überhaupt sinnvoll, dass sie mit einem König sprach? Würde er sie anhören? Doch jedes Mal, wenn sie verzagen wollte, dachte sie an die unausweichlichen Folgen.
    Nach vielen Stunden erreichten sie Prag. Luzinde hielt überrascht den Atem an. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und die Stadt schien beinahe zu glühen. In der Mitte überragte eine gewaltige Burg mit wuchtigen Türmen das Meer von Häusern, das den Hügel umgab. Daraus hervor ragten unzählige Kirchtürme mit kantigen Giebeln. Die gewaltige Moldau glich einem Fluss aus schwarzem Gold, dessen Breite jeden Fluss, den Luzinde bislang gesehen hatte, wie einen schmalen Gebirgsbach wirken ließ. Wenn Nürnberg der strahlende Fürst des Reiches war, dann musste Prag seine dunkle Königin sein.
    »Das ist …«
    »… wunderschön.« Wenzels Stimme drückte eine warme Zärtlichkeit aus. »In der Tat.«

    Die Hufschläge von Wenzels Schwarzbraunem hallten laut durch die Gassen der Stadt, als sie dank des Ritters Autorität das Stadttor passierten und hinauf zur Burg ritten. Trotz der späten Stunde fanden sich noch ausreichend Leute auf den Straßen, die in schlichte, meist dicke dunkle Gewänder mit weiten

Weitere Kostenlose Bücher