Die Lichtermagd
eiskalt auf ihrer Haut kühlte, musterte sie den Kranken besorgt. Er sah übel aus. Wenn ihr Anstrengung und Kälte schon an den Kräften zehrten, wie musste es ihm erst ergehen? Husten und Fieber schüttelten ihn durch, sein Kopf leuchtete wie ein Furunkel. War das der Schwarze Tod, so wie die anderen dachten?
Die letzten Berichte vom Großen Sterben lagen nun schon viele Wochen zurück. Niemand wusste, woher es kam und wohin es als Nächstes ziehen würde. Manche sagten, es sei eine Geißel Gottes, andere nannten es das Gift der Juden.Was auch immer die Ursache war, der Schwarze Tod entvölkerte Dörfer und Städte. Im letzten Jahr waren die welschen Lande und das Frankenreich verheert worden. Im Sommer hatte man davon berichtet, dass Regensburg und das Herzogtum Bayern gelitten hatten. Im September waren die Nachrichten über das Sterben abgeflaut, und im Oktober und November war davon nichts mehr zu hören gewesen. Das musste natürlich nichts bedeuten – wo Gott strafen wollte, fand er einen Weg. Doch sie
betete, dass diese Strafe an Ambrosius und ihr vorüberziehen mochte.
Nein, Luzinde glaubte nicht, dass er mit dem Schwarzen Tod geschlagen war. Hinter vorgehaltener Hand hatte man flüsternd weitergetragen, wie entsetzlich er im Körper wütete. Er trieb Beulen aus dem Körper, die so groß wie Eier wurden, hatte sie gehört. Die Flecken auf Ambrosius’ Brust aber sahen eher aus, als hätte er dort einen Ausschlag, oder Nesselsucht. Vielleicht gab es auch Fieberarten, die sich so äußerten – Luzinde war keine Expertin, sie konnte nur raten. Doch irgendetwas musste sie tun.
Also raffte sie sich auf und hüllte den Mönch in seine Decke und stopfte sie mit Stroh aus. Sie zündete ein Feuer an und suchte Steine, die sich hineinlegen und mit der Zange später wieder herausfischen ließen, um sie dem Mann in Tücher gehüllt an die Füße zu stecken. Zuletzt fand sie ein Gefäß, das sie an einer Kette über die Flammen hängen konnte, um den Salbei zuzubereiten.
Als alles getan war, was in ihrer Macht stand, kniete Luzinde nieder und faltete ihre Hände über denen von Ambrosius. Sie fühlte keine Zuneigung für den Mönch, doch den Tod wünschte sie ihm nicht. Was der Mensch nicht vermochte, konnte vielleicht Gott vollbringen. Und ein Gebet war ein Christenmensch dem anderen schuldig. Also würde sie die Heilige Jungfrau um Hilfe bitten. »Ave Maria gratia plena. Dominus te -«
»Kannst du mir erklären, was das zu bedeuten hat?«, fragte Wenzel hinter ihr müde. »Eine Jüdin, die den Namen der Heiligen Maria im Mund führt?«
Luzinde fuhr herum. Der Ritter stand in der Tür der Schmiede, den Helm unter den Arm geklemmt. Er hatte seine ihm sonst übliche Ruhe verloren und wirkte gehetzt. »Warum hast du nicht dort gewartet, wie ich es gesagt habe?«
»Dort wäre er gestorben.«
Seine Augen verdüsterten sich noch mehr. »Hat er die Pest?«
»Nein, ich glaube nicht. Er -«
»Er darf nicht sterben. Nicht so!« Seine Stimme drückte eine verzweifelte Leidenschaft aus. »Du wirst das nicht wissen. Aber ohne die Sakramente zu sterben – hier draußen, wo weit und breit niemand ist, der sie ihm erteilen könnte -, das verdammt seine Seele ins Fegefeuer!«
Luzinde nickte nur. Natürlich wusste sie das.Wer unverhofft starb, dem drohte nicht nur der leibliche, sondern auch der Zweite Tod, der Tod der Seele.
»Werden wir auch krank werden und sterben?«
»Ich bin keine Heilerin, Herr Wenzel«, sagte sie sanft. »Man sagt, je mehr Zeit man mit einem Kranken verbracht hat, desto wahrscheinlicher ist es. Und er hat ein schlimmes Fieber.«
Wenzel schwieg betroffen. Luzinde sah ihm an, dass er, der auf der Reise bislang immer alles geplant und durchdacht hatte, plötzlich nicht mehr wusste, was er tun sollte.
»Die anderen sind weg«, murmelte er. »Sie sagen, du seist Schuld an Ambrosius’ Krankheit. Stimmt das?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe niemandem je ein Übel gewünscht«, flüsterte sie dann.
»Ich hätte es mir auch nicht denken können«, sagte er erleichtert. »Kannst du ihn retten?«
Luzinde blickte auf den kranken Frater hinunter, der sich unter dem Fieber wand. Sein Leben lag jetzt in Gottes Hand. »Ich weiß es nicht.«
»Aber du versuchst es?«, bat der Ritter.
Luzinde nickte stumm.
»Ich bringe dir, was immer du brauchst.«
In dieser Nacht kämpfte Luzinde um das Leben des Mönchs Ambrosius. Sie verließ die Schmiede nur kurz, um Eibischwurzeln
zu suchen, denen Hildegard
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